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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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    Ich werde niemandem davon erzählen, denn was in meinem Kopf passiert, hat keine Auswirkung auf die anderen. Ich kann nicht den Anspruch erheben, dass ich weiß, was in den Köpfen anderer vor sich geht; wahrscheinlich wäre es für sie größtenteils oder völlig irrelevant.

Anonyme Aktenwälzer
     
     
     

     

     
    An einem Montagmorgen setzen sich Asif und Yasmin an den Frühstückstisch. Asif, schon in Anzug und Schuhen, liest Zeitung, Yasmin ist noch im Schlafanzug und streicht sich die Butter dick aufs Brot, eine ganz normale häusliche Szene. Trotzdem würde ein Betrachter von außen stutzen; der Anblick hat etwas leicht Irritierendes, das auf den ersten Blick nicht auffällt. Alles ist so merkwürdig gelb. Das ganze Essen auf dem Frühstückstisch scheint eine Ansammlung verschiedener Gelbtöne zu sein, nur hier und da ein weißer Fleck, der das Gelb noch unterstreicht; der Orangensaft, das Rührei, der hell geröstete Toast, die weichen Butterstückchen in der Schale, die Bananenscheiben auf den Cornflakes. Alles ganz normale Lebensmittel, die man zum Frühstück isst, aber alles gelb. Das könnte man als reinen Zufall abtun, stünde in der Ecke nicht die Kaffeemaschine, die – pff pff pff – kleine Dampfwölkchen ausstößt, als wollte sie auf sich aufmerksam machen. Yasmin vermeidet es gezielt, sie anzusehen, während Asif sehnsüchtig und ein wenig schuldbewusst zu dem schaumigen dunklen Nektar hinüberschielt wie ein Junge auf einer Party, der in die Freundin eines anderen verknallt ist. Als Yasmin den Tisch verlässt und nach oben geht, um sich zu waschen, wartet Asif noch auf das Klicken, mit dem sich die Badezimmertür schließt, dann steht, ja springt er fast auf und gießt sich eine Tasse Kaffee ein. Er trinkt in vorsichtigen kleinen Schlucken, an die Arbeitsplatte gelehnt, die Augen im Glück des hinausgeschobenen Genusses geschlossen. Dann räumt er das Frühstücksgeschirr in die Spülmaschine und gießt sich eine zweite Tasse ein, die er praktisch in einem Zug hinunterstürzen muss, da er Yasmin nach genau neun Minuten wieder herunterkommen hört. In der Hast verschüttet er ein wenig, schwenkt die Tasse rasch unter dem Wasserhahn aus und stellt auch sie noch schnell in den Geschirrspüler.
    »T schüs, Yasmin, einen schönen Schultag«, sagt er.
    »T schüs, Asif, einen schönen Arbeitstag«, antwortet sie mechanisch und ahmt dabei im bewussten Bemühen, alles richtig zu machen, seinen Tonfall so exakt nach, dass es fast klingt, als würde sie sich über ihn lustig machen.
     

     
    Das gelbe Frühstück ist Asifs Schuld; als ihre Mutter noch lebte, hatte Yasmin nie auf einem gelben Frühstück bestanden und Mum auch nie daran gehindert, am Frühstückstisch Tee oder Kaffee zu trinken. Eigentlich hatte sie auch Asif nie daran gehindert. Aber nach Mums Tod bemerkte er, dass Yasmin an Tagen, an denen es auch Nicht-Gelbes zum Frühstück gab, nichts davon aß und auch von den gelben Dingen weniger; es ging so weit, dass sie überhaupt nichts mehr aß, wenn etwas Nicht-Gelbes auf dem Tisch stand, zum Beispiel eine Tasse Kaffee. Wenn er sie darauf ansprach, behauptete sie, sie habe einfach keinen Hunger; sie schien weder verärgert, noch stellte sie Forderungen, es sah so aus, als wäre ihr wirklich der Appetit vergangen.
    Er probierte ein bisschen herum und fand heraus, dass Yasmin alles aß, wenn er ausschließlich Gelbes hinstellte. Das war eine versteckte Form passiver Aggression, was Yasmin anscheinend noch nicht einmal bewusst war. Ihre Mutter hatte immer dafür gesorgt, dass Yasmin ordentlich frühstückte, für den Fall, dass sie mittags in der Schule nichts Annehmbares bekam oder es überhaupt versäumte, in die Schulkantine zu gehen. Deshalb wurde Asif von schrecklichen Schuldgefühlen geplagt, wenn er Yasmin mit leerem Magen in die Schule schickte, dünn und zart, wie sie ohnehin schon war. Und als Lila ein Jahr später auszog, kapitulierte Asif vor Yasmins stummer Forderung und stellte nur noch Gelbes auf den Tisch; schließlich hatte er nichts gegen Orangensaft, Rühreier, Bananen oder Cornflakes. Das machte die Sache schlichtweg einfacher. Und er gewöhnte sich daran, seinen Kaffee erst nach dem Frühstück zu trinken.
    So sehr gewöhnte er sich daran, dass er einmal richtig über sich selbst erschrak, als sich seine gesamte Abteilung in einem georgianischen Herrenhaus in Wimbledon traf, um einen Tag lang in einer anderen Umgebung zu arbeiten. Um acht Uhr gab es

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