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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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Dauerempfang läuft, und damit ich mal eine Pause habe, mache ich die Augen zu, stecke mir die Zeigefinger in die Ohren und summe, um ein weißes Rauschen zu erzeugen, auf das sich mein Denken konzentrieren kann. Mein Verstand speichert immer neue Dinge, er speichert sogar, was ich vor einem Moment gedacht habe, und in dem Moment davor. Wenn ich im Bett liege, kann ich nicht einschlafen, weil in meinem Kopf die Yasmin von vor einer Minute plappert, und die Yasmin von vor zwei Minuten, und die Yasmin von gestern, von letzter Woche und vom letzten Jahr, und die einzigen Yasmins, die wirklich verschwommen, unvollständig und nicht richtig angezogen sind, sind die vom 20 . Mai 2004 . Ich schlafe so wenig, dass mir die Ärzte Schlaftabletten verschreiben mussten.
    An einem normalen Tag ist mein Kopf so voller Yasmin Murphys, dass er wehtut, was auch der Grund ist, warum ich manchmal, wenn niemand zusieht, den Kopf gegen die Wand schlage, normalerweise gegen die Klowand zu Hause oder in der Schule, weil Klos ein Schloss haben und niemand hereinkommen und mich in Verlegenheit bringen kann. Als ich klein war, hatte ich noch nicht gelernt, mich für unangemessenes Verhalten in der Öffentlichkeit zu schämen – wenn ich den Kopf gegen eine harte Fläche schlug, mir in die Hose machte oder pupste. Damals schlug ich mir die ganze Zeit den Kopf an, in einer rhythmischen, schaukelnden Bewegung, bumm, bumm, bumm wie das Ticken einer Uhr oder eines Metronoms, bis ich Prellungen hatte und mein Kopf auf eine andere, sauberere Weise schmerzte. Das Gehirn verfügt über einen Schleusenmechanismus, der alten Schmerz nicht mehr durchlässt, wenn ein neuer, akuter Schmerz auftritt; ich war zu jung für diese Erklärung, fand aber den Mechanismus selbst heraus.
     

     
    Je weniger Reizen mein Gehirn ausgesetzt ist, desto einfacher ist es. Deshalb mag ich keine Menschenmassen. Wenn andere Leute lediglich eine »Menge« sehen, sehe ich zweihundertvierundsiebzig Menschen, alle mit anderer Kleidung, die andere Geräusche und Gerüche absondert und sich anders anfühlt. Deshalb war ich vor fünfzehn Tagen so erleichtert, als ich aus dem Fenster schaute und bemerkte, dass ich weniger sah als früher. Wir haben im Garten hinter dem Haus einen Walnussbaum, der gerade neue Blattknospen bekommt; Vögel haben in ihm ein Nest gebaut. Ich habe gesehen, wie einer der Vögel in den Baum hineinflog und wieder heraus, und mir fiel auf, dass ich den Vogel nicht bestimmen konnte, weil ich die Zeichnung seines Gefieders oder seine hervorstechenden Merkmale nicht erkannte. Deshalb konnte ich nicht sagen, ob es sich um eine nordeuropäische Misteldrossel handelte oder nicht – für mich war es nur ein braungrauer Vogel. Und seit diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich überhaupt immer weniger sehe. Alle Leute sehen für mich nun besser aus, weil ich ihre Schönheitsfehler wie vergrößerte Poren, Pickel oder Falten nicht bemerke. Sogar ich sehe hübsch aus, wenn ich in den Spiegel schaue; meine Haut sieht so glatt aus, dass ich sie berühren muss, um mich daran zu erinnern, wie sie wirklich ist.
    Erst war es eine Erleichterung, aber jetzt bin ich doch ein bisschen beunruhigt, denn meine Sehkraft legt nicht nur fest, was ich sehe; alle Informationen, die ich durch meine Sinnesorgane erhalte, vermischen sich in meinem Gehirn. Deshalb weiß ich, was Lila meint, wenn ich sie unbeabsichtigt anstarre und sie zu mir sagt: »Hör auf, mich in diesem Ton anzusehen.« Das ist als Witz gemeint, aber ich verstehe es gut. Deshalb werde ich ruhig, wenn ich weißes Rauschen höre wie das Summen in meinem Kopf, wenn ich mir die Ohren zuhalte, oder auch wie das Brummen des Staubsaugers. Dieses Rauschen verwischt nicht nur sonstige Geräusche, sondern auch alles andere. Bei lautem Kreischen kann ich mein Essen nicht schmecken, bei starken Gerüchen kann ich mich nicht darauf konzentrieren, eine Scheibe Brot abzuschneiden. Und wenn nun meine Sehkraft nachlässt, kann ich auch nicht mehr ganz so gut hören oder spüren. Es ist bei mir nicht so, wie es in den Büchern steht, dass andere Sinne ausgleichen, was man nicht sehen kann – meine anderen Sinne bauen ebenfalls ab. Es ist, als würde meine Welt schrumpfen oder in meinen Kopf zurückgleiten, als verändere sie sich zu einem Ort, wo einmal Erinnerungen produziert worden sind. Es fühlt sich an, als ob alles, was mich zu etwas Besonderem macht, langsam verfiele wie Mum in ihrer Kiste, bevor sie in den Ofen geschoben

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