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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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an der Wand oder Blätter an einem Baum. Vor allem aber mochte sie die Nähe ihrer hübschen Mutter, das Gefühl ihrer weichen, süß duftenden Haut; ihre Mutter packte und drückte sie nicht, sondern ließ sie auf ihr Knie oder auf ihren Schoß klettern, von wo sie genauso ungehindert wieder hinunterrutschen konnte, wenn sie wollte. Manchmal war Yasmins Drang, die Nähe ihrer Mutter zu suchen, beinahe wie ein Grundtrieb, ein körperlicher Drang, der stärker war als ihr Bedürfnis, die Blase zu entleeren, zu niesen oder sich zu kratzen, dem Saugbedürfnis eines Neugeborenen vergleichbar. Doch obwohl sie ihre Mutter gern berührte, die Hand gern auf ihr Gesicht oder an ihren Hals legte, um ihre Wärme durch die Fingerspitzen aufzunehmen, konnte sie es nicht ertragen, selbst angefasst zu werden. Sie wollte Nähe, wollte gehalten werden, aber ohne berührt, ohne durch eine Umarmung eingeengt zu werden. Wieder etwas, das sie verwirrte, als führten verschiedene Teile ihres Gehirns eine ergebnislose Auseinandersetzung und zerrten in verschiedene Richtungen.
    »Du glaubst, du bist so schlau, was?«, sagte Lila mit einer Bitterkeit, die bei einem Kind mit einem so sanften Gesicht überraschte. Sie beobachtete ihre Schwester, die nun um den größten Kreis herumschritt, der Lila und Asif praktisch in das Blumenbeet abdrängte. Zerstreut kratzte Lila an der Rückseite ihrer Arme herum.
    »Ja, ich glaube, dass ich schlau bin«, antwortete Yasmin, der die Unterbrechung erstaunlich wenig ausmachte. »Ich habe einen hohen IQ und kann Mum beim Schach schlagen und kann das ganze Einmaleins bis zwanzig und darüber hinaus, wie es gar nicht mehr in den Büchern steht.« Sie machte eine Pause und sagte dann sachlich, ohne jede Spur von Eitelkeit: »Ich bin schlauer als du, obwohl ich erst sechs bin.«
    Asif sah Lila besorgt an und hoffte, sie würde nicht explodieren; Yasmin war einfach, wie sie eben war. Lilas kratzende Hand war von der Rückseite ihrer Arme zur Innenseite ihrer Ellbogen gewandert und kratzte immer tiefer und aggressiver; Lila schien gar nicht zu merken, was sie tat, bis Asif ihr die Hand mit einer sanften, vorsichtigen Bewegung wegzog. Lila blickte ihn kurz an, dann lief sie zu Yasmin hinüber, umfing sie in einer wilden Umarmung und lenkte ihre unterdrückte Aggression in überschwängliche, unerwünschte Zuneigung um. »Hochnäsige Yasmin! Hochnäsige Prinzessin Yasmin, hochnäsiges kleines Fräulein Yasmin«, sang Lila, während sie das widerspenstige kleinere Mädchen herzte und drückte. Zwar hatte sich Lila zusammengerissen und ihren Drang, auf Yasmin einzuschlagen, in eine Umarmung umgewandelt, aber Yasmin schien das genauso wenig zu schätzen; sie wand sich und kreischte, Lila solle sie loslassen.
    »Lila, das reicht«, rief Mum aus dem Küchenfenster; sie machte gerade das Abendessen. »Du weißt doch, dass Yasmin das nicht mag.«
    »T ut mir leid, Mum«, sagte Lila; ihr Gesicht leuchtete bei der kleinen Aufmerksamkeit auf, die ihre Mutter ihr schenkte, als sie sie beim Namen rief. Asif saß unsichtbar am Rand des Blumenbeets und kam sich blöd vor, weil er Lila beneidete.
    »Yasmin, wenn du schon so schlau bist, magst du dann einen kleinen Reim lernen, den wir in der Schule singen?«, schlug Lila mit boshafter Hinterhältigkeit vor.
    »Ja«, sagte Yasmin sofort, denn sie mochte Reime.
    »Du musst die Bewegungen mitmachen: Milch, Milch«, begann sie den Singsang und deutete auf ihre flachen Nippel unter dem T-Shirt. »Limonade«, fuhr sie fort und zeigte nach unten, wo das Pipi rauskommt. »Und da hinten Schokolade«, endete sie, drehte sich um und gab sich einen Klaps auf den Po. »W illst du’s mit mir zusammen machen?«, fragte sie zuckersüß.
    »Milch, Milch, Limonade, und da hinten Schokolade«, sang Yasmin und ahmte Lila perfekt nach. Sie gingen den Reim noch zweimal gemeinsam durch, dann begann Yasmin sofort, ihn samt der anstößigen Gesten zu wiederholen, und Lila schüttete sich aus vor Lachen. »Du bist so komisch, Yas«, kicherte sie.
    »Lila, das hättest du nicht tun sollen.« Asif bemühte sich um einen strengen Ton. »Das ist kein schöner Reim für Yasmin.«
    »Der ist lustig! In der Schule kennen ihn alle. Sei doch nicht so doof, Asif.«
    »Ich sag’s Mum«, drohte Asif schwach, obwohl er wusste, dass er es nicht tun würde.
    »Als ob, Asif«, sagte Lila. »Schau mal, Yasmin ist immer noch dabei.«
     

     
    Yasmins Singsang zog Mums Aufmerksamkeit auf sich; barfuß und mit offenem

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