Als ich lernte zu fliegen
die Haare streichen und sie küssen würde, wenn sie sagte, dass es ihr leidtat. Das würde Lila mühelos über die Lippen bringen, auch wenn es gar nicht stimmte, denn sie hatte ja nur dieses eine Ziel verfolgt: dass Mum allein bei ihr im Zimmer war, ihr übers Haar strich und ihr einen Kuss gab. Das war doch die Definition einer Mutter, dachte Asif, der Mensch, der einen auch dann noch liebt, wenn man böse gewesen ist.
Die Frage ist nur, dachte er, allein und unbeachtet im Garten, wie bekommt man jemanden dazu, einen zu lieben, wenn man gut gewesen ist? Gut sein heißt, so gut wie unsichtbar zu sein. Traurig erkannte er, dass er gar nicht wusste, wie er auch anders sein könnte. Und so war es immer, als ob es ihn gar nicht gäbe.
Die Frau im Spiegel
Lila steht im Plattenladen hinter der Theke und trommelt mit den Fingern zum beharrlichen Beat einer neuen Band. Sie denkt an ihr grässliches Bild, das sie in den Park getragen und verbrannt hat, alle amtlichen Bestimmungen zu offenem Feuer auf Gelände mit Baumbewuchs fröhlich missachtend. Zu ihrer Überraschung war niemand eingeschritten, obwohl sie nicht versucht hatte, ihr Treiben zu verbergen, und eine offene, baumlose Stelle gewählt hatte, wo sie aus herumliegenden Ästen den Scheiterhaufen für ihr Bild errichtete. Aber im Park war es an diesem tristen Februarabend auch sehr ruhig gewesen; nur die arrogantesten und verbissensten Jogger hatten der beißenden Kälte zu trotzen versucht.
Das Bild zu verbrennen hatte Lila mehr Spaß gemacht, als es zu malen. Die Zerstörung war ihr fast wie ein Teil des kreativen Prozesses vorgekommen, eine abschließende Behandlung mit kalter Luft und Flammen wie mit einem Firnis, der das Werk versiegelt und vollendet, der mit dem ins Bild eingebetteten Holz, Metall und Dreck verschmilzt. Es hatte etwas Ursprüngliches, buchstäblich Elementares, wie sich das Holz den Flammen hingab und die Dreckklumpen auf der Leinwand wieder eins wurden mit der feuchtkalten, lehmigen Erde unter ihren Füßen. Sie hatte den langsamen Zerstörungsprozess gefilmt, wie sich die Leinwand wölbte, verkrümmte und verflüssigte, wie heiße Ascheteilchen, Glühwürmchen gleich, in die Luft stoben und dann als gespenstisch graue Flocken herunterfielen. Später am Abend sah sie sich den Film an, bei einer Flasche billigem Rotwein und Fertigpizza. Sie hatte überlegt, ob sie den Film mit Begleitmusik unterlegen sollte, mit etwas Düsterem, Passendem wie Don Giovanni , aber dann beschlossen, dass es zu viel des egomanischen Schwelgens wäre, außerdem klischeehaft, nur ein Abklatsch.
In den schicken, flachen Schuhen, die zu ihren schmerzlich nichtssagenden, eleganten Klamotten passen, tun Lila die Füße weh. Sie verlagert das Gewicht von einem Fuß auf den anderen und setzt sich dann vorsichtig auf den wackligen Hocker hinter der Theke. Sie stellt sich vor, wie sie den Film rückwärts abspielt, und ist seltsam bewegt von der Vorstellung, wie ihr Bild aus den feuchten, verkohlten Brocken wieder als rauchende Glut aufersteht und sich schließlich in selbstzufriedener Intaktheit auf den wirren, aus Zweigen aufgeschichteten Scheiterhaufen legt – ein absonderlicher, ziemlich enttäuschender Phoenix in einem stümperhaften Nest. Sie ist sich bewusst, dass sie ein wenig zu stolz ist auf die Zerstörung des Bildes, ein wenig zu sehr beschäftigt mit ihrer negativen, dekonstruktiven Aktion; vielleicht empfindet sie jetzt genau das Gefühl, das Kriminelle empfinden, Brandstifter und Randalierer, vielleicht werden sie süchtig nach der Befriedigung, etwas zerstört zu haben, eine wilde Befriedigung, die die meisten Menschen nur selten verspüren, höchstens, wenn sie im Streit mit dem Partner ein Glas zerschmettern. Lila merkt nicht, wie Mikey, ihr Chef, unauffällig zu ihr hinter die Theke tritt.
»Na, woran denkst du?«, fragt er in seiner übertrieben weichen, schleppenden Sprechweise. Mit dem Selbstvertrauen eines Mannes, dem oft genug bestätigt wurde, dass er ein nettes Lächeln hat, strahlt er Lila träge an. Seine verwilderten Wuschellocken geben ihm etwas Verschmitztes, Welpenhaftes; er ist ganz attraktiv, kommt aber eher wie ein reicher, als Backpacker herumreisender Student daher, was bei jemandem um die dreißig leicht unpassend und würdelos wirkt. Aus reiner Höflichkeit erwidert Lila sein Lächeln, aber nur schwach, ohne Zähne zu zeigen; sie überlegt, ob es auf der Welt überhaupt noch nervigere Fragen gibt als die
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