Als ich lernte zu fliegen
verschiedenen Varianten von »W oran denkst du?«. Höchstens die Frage »Liebst du mich?« oder ihre böse Zwillingsschwester »Liebst du mich nicht mehr?« können es damit aufnehmen.
Mikey scheint mehr von ihr zu erwarten als nur ein vages Lächeln, also antwortet sie schnippisch: »Solche Sauereien verrate ich nicht kostenlos.« Sie stößt ihren Hocker von der Theke nach hinten und fegt dabei mit dem Ellbogen einen Stapel CD s, die sie mit einem Rabattpreis hätte bekleben sollen, auf den Boden. »Shit, tut mir leid«, sagt sie und macht sich daran, sie aufzuheben.
»Kein Problem, ich helf dir.« Mikey schnaubt missbilligend, als er auf einen Sampler mit alten Ibiza-Tanzhits stößt. »Oh Mann«, brummt er. »Die könnte genauso gut hier unten liegen bleiben.« Wie er so vor Lila hockt, kann sie sich noch einmal vergewissern, dass er wirklich einen tollen Arsch hat, der Wesleys in nichts nachsteht. Die Tatsache, dass sie seinen Arsch zur Kenntnis nimmt, ist ein klares Zeichen, dass ihr Interesse an Wesley erlahmt. Der Sex am Sonntag war nicht annähernd so gut gewesen wie erwartet und noch dazu viel zu hastig; Wesley hatte sich weit mehr um die Seezunge gekümmert, die er auch perfekt hinbekam – im Gegensatz zu ihr. Nach dem Essen hatte er noch einmal mit ihr schlafen wollen, und Lila war nur aus Höflichkeit dazu bereit gewesen; schließlich hatte er sich mit dem Essen, dem Champagner und den Erdbeeren sehr bemüht. Der höfliche, relaxte Sex war sogar noch schlimmer als die schnelle Nummer an der Tür; ein Quickie lässt einem wenigstens keine Zeit, sich zu langweilen. »W ie wär’s mit Mittagessen?«, fragt Mikey beiläufig; es beunruhigt sie, dass er immer noch zu ihren Füßen kauert, als wolle er sich gleich auf ein Knie erheben und ihr einen Antrag machen.
»W ie bitte?« Lila hat nicht aufgepasst.
»Mittagessen. Hast du Lust, essen zu gehen?« Mikey bleibt beharrlich, aber sein Selbstvertrauen schwindet mit jedem Wort. »Mit mir, meine ich«, fügt er hinzu, als sei er in Sorge, dass er sich nicht klar genug ausgedrückt hat. »Ich könnte den Laden dichtmachen.« Lila gibt sich einer kurzen Fantasie hin; sie stellt sich vor, wie sie mit heiserer Stimme raunt: »Du kannst den Laden gern dichtmachen, aber vergiss das Mittagessen«, und Mikey dann auf das schmuddelige Parkett in der nie besuchten Jazz-Abteilung zerrt, um ihn schwitzend, leidenschaftlich und gierig zu vögeln; ihre Hände umklammern seinen fantastischen Arsch, während er zu heißem Soul pumpt und stößt. Sie sieht ihn abwägend an, überrascht, dass sie dieser unromantischen Schlampenfantasie nachhängt; sie hat Kondome in der Handtasche, und er würde wahrscheinlich nicht Nein sagen. Schließlich hat er sie zum Mittagessen eingeladen, und Lila weiß aus Erfahrung, ein Mittagessen ist ein Vorschuss auf Drinks und ein Abendessen, die sind ein Vorschuss auf Geknutsche, und das wiederum ein Vorschuss auf Sex, wahrscheinlich bei der dritten Verabredung. Aber in Wirklichkeit ist sie gar nicht so scharf auf Mikey, und wenn sie ihn fickt, wird sie sich natürlich einen neuen Job suchen müssen oder damit geschlagen sein, jeden zweiten Vormittag, ob sie will oder nicht, mit ihrem Cannabis-duftenden Boss zu bumsen, um seine Gefühle nicht zu verletzen. Höflicher Sex ist das Letzte, was sie will. Was sie wieder zu ihrem Problem mit Wesley zurückbringt. Warum ist Wesley plötzlich zum Problem geworden, schon nach einem Mal weniger aufregendem Sex? Er ist trotzdem einer der nettesten Männer, die sie je gehabt hat. Lila fällt auf, dass genau das, was sie anfangs an Wes so mochte, ihr nun auf die Nerven geht. Als sie ihn kennenlernte, gefielen ihr die höflichen Umgangsformen des Elitestudenten, seine Wow-toll-Begeisterung und die Tatsache, dass er ins Fitnessstudio ging und besser kochte und sich kleidete als sie selbst. Er war wie ein schwuler Freund, plus Sex – fast der ideale Mann.
»T ut mir leid«, sagt Lila noch einmal, ein wenig zu nachdrücklich. Sie mildert ihre Abfuhr mit dem Zusatz: »Ich bin mittags schon verabredet.«
»Ach so. Wohl mit deinem Freund?« Mikey sieht zu Boden, um seine Enttäuschung zu verbergen, und beschäftigt sich mit den CD s. Er stapelt und etikettiert mit einer Routine, die sein betont relaxtes Verhalten Lügen straft.
»Schön wär’s. Nein, ich hab drüben im Café ein Date mit einem Unbekannten, irgendeinem spießigen Fernseh-Recherchemenschen; über Yasmin wird ein Dokumentarfilm gedreht.«
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