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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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er lächelt nur wieder, dieses ungekünstelte, leuchtende Lächeln, das ihn so unerwartet anziehend macht; er wirkt so strahlend, dass Lila sich bremsen muss, um sich nicht an ihn zu schmiegen und sich an ihm zu wärmen. Abgesehen davon, dass er gelegentlich ihren Arm genommen hat, um sich von ihr führen zu lassen, hat er sie nie angefasst, hat nicht einmal versucht, ihre Hand zu halten; aber jetzt beugt er sich vor und legt seine warme Hand auf ihren Unterarm. »W as zählt, ist darunter, Lila«, sagt er und streicht mit dem Daumen ganz leicht über ihr Handgelenk. »Alles Wunderbare an dir liegt unter der Haut. Das hast du mit vierzehn vielleicht noch nicht gewusst, aber jetzt solltest du es wissen.«
    Lila ist von der plötzlichen Intimität der Berührung überwältigt, bei der unerwarteten Geste überkommt sie eine Woge wirrer Gefühle. Sein Daumen liegt genau auf der Narbe aus ihrer Kindheit, als sie sich mit einem Dosendeckel die Pulsadern aufgeschnitten hat. Sie spürt, wie ihr Blut unter seinem Daumen pochend in ihre Hand fließt, und sie sieht ihm an, dass er die Narbe spürt. Aber er sagt nichts und zieht seine Hand genauso behutsam zurück, wie er sie hingelegt hat. Wenigstens hat er schöne Hände, gibt Lila widerwillig zu. Sie erhebt sich und sagt unbekümmert: »Danke für den netten Abend.« Ihre Mutter wäre stolz auf ihre mittlere Tochter gewesen, hatte sie doch allen ihren Kindern stets eingeschärft, ihren Freunden beim Abschied zu sagen: »Danke, dass ich bei dir sein durfte«, eine Floskel, die eine ganz neue Bedeutung annahm, als Lila älter wurde und Jungs besuchte.
    »Nichts zu danken«, erwidert Henry und steht höflich auf. »Es war mir ein Vergnügen.«
    »T schüs dann.« Lila überlegt, ob sie ihm ein Küsschen auf die Wange geben soll, denn wahrscheinlich sieht sie ihn das letzte Mal. Sie küsst ihn nicht. Aber als sie ihre Handtasche nimmt, hört sie sich zu ihrer eigenen Überraschung stattdessen sagen: »Also, wenn du dich wieder mal mit mir treffen willst – nur so zum Quatschen … Das fände ich nett.«
    »W irklich?« Henry macht einen Schritt auf sie zu. »Ich wollte nächstes Wochenende mal raus aus London, vielleicht ans Meer. Irgendwohin, wo es einen Strand, Bier und Austern gibt. Hättest du Lust mitzukommen?«
    »Hm«, sagt Lila, verblüfft über seinen plötzlichen Eifer, »das kann ich dich schlecht alleine machen lassen. Du würdest eine ziemlich traurige Figur abgeben.«
    »T oll, dann ist es ein Date«, sagt Henry unbedacht, dann hält er inne und wartet, dass Lila ihn verbessert. Aber sie tut es nicht. Denn sie will ihn lächeln sehen.

Lücken füllen
     
     
     

     

     
    Asif macht Überstunden; zusammen mit Terry tütet er Briefe ein. Er muss mehreren hundert Gläubigern, die von einem seiner Konkursfälle betroffen sind, eine Nachricht schicken. Dass Asif und Terry diese Arbeit erledigen und nicht die Praktikanten oder Sekretärinnen, hat seinen Grund: Die Firma kann für Asif einen viel höheren Stundensatz verlangen. Sogar Hector, der Teilhaber, hat ein Dutzend Umschläge zugeklebt, damit er eine halbe Stunde seiner exorbitant teuren Zeit in Rechnung stellen kann. Die Abteilung Unternehmenssanierung versäumt keine Gelegenheit, ihre Gewinnerwartung zu erhöhen – schließlich wirkt sich das auf die jährlichen Bonuszahlungen an die leitenden Angestellten aus.
    Asif sollte es eigentlich als unwürdig empfinden, Briefe einzutüten, aber insgeheim ist er froh, dass er nicht nach Hause muss. Er hat Yasmin angerufen und ihr erklärt, er müsse bis spätabends im Büro bleiben, was sie bemerkenswert gelassen hingenommen hat. Sie meinte, sie arbeite an ihrem Projekt für die Zeit nach dem Dokumentarfilm, und die Aussicht auf eine Tiefkühlpizza als Abendessen erschütterte sie nicht weiter. Das Projekt schien ihr neuester Spleen in einer langen Reihe scheinbar willkürlicher Interessen zu sein, die sie so gefangen nahmen, dass es nicht mehr gesund sein konnte. Als sie klein war, waren es die Teletubbies , dann kamen die heimische Flora und Fauna, griechische und römische Mythologie, Fotografie und so weiter. Soweit Asif weiß, besteht das Projekt lediglich aus einer Checkliste, was Yasmin alles unternehmen will; im Lauf der Dreharbeiten hat sich bei ihr wohl das Gefühl eingestellt, dass sie nicht genug Lebenserfahrung besitzt.
    Asif weiß, es ist ein Armutszeugnis, aber im Grunde gefällt ihm die manuelle Tätigkeit des Kuvertierens ganz gut, das exakte Falzen

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