Als ich lernte zu fliegen
aus der Marketing-Abteilung.
»Hallo, Lynn«, ruft Percy anbiedernd. Mei Lin dreht sich um und speist ihn mit einem Nicken ab, das an Schroffheit grenzt. Sie nimmt sich ein Glas Chardonnay und geht direkt zu dem kleinen Grüppchen von Leuten aus der Personalabteilung, die mit den Graduierten plaudern, hinüber. Lächelnd stellt sie sich vor, ihre schmalen Augen funkeln, als sich der Wein mit butterfarbenem Schimmer darin spiegelt.
»Hochnäsige Kuh. Was glaubt die denn, wer sie ist?«, hickst Percy. »Dabei sieht sie nicht halb so gut aus, wie sie sich einbildet.« Asif unterdrückt ein Lächeln; Mei Lin ist für Percys niveaulose Anmache sichtlich unempfänglich.
»Ich finde sie ziemlich attraktiv«, sagt Ravi, »allerdings auf eine etwas schlichte Art. Sie sollte etwas Make-up auflegen. Ein Hauch Lippenstift und Puder auf der Nase würden Wunder wirken.«
Asif kann über Ravi nur staunen. Wie ist es möglich, dass Ravi nicht dasselbe sieht wie er: dass Mei Lin mit ihrem Seidenhaar, dem Elfenbeinteint und der Tiefe ihrer warmen braunen Augen die schönste Frau der Welt ist? Mit seinem zweiten Bier fühlt er sich mutig genug, um zu ihr hinüberzugehen und sich neben sie zu stellen. »Hi, Mei Lin, wie geht’s Melody?«, fragt er und freut sich, dass er daran gedacht hat, sich nach ihrer Tochter zu erkundigen, und sogar noch den Namen der Kleinen weiß.
»Hi …«, sagt Mei Lin und sieht Asif entschuldigend an. »Es tut mir wirklich leid, aber an Ihren Namen …«
»Asif«, sagt Asif rasch, bevor sie den Satz beenden kann. Seinen Namen auszusprechen ist wie das Abziehen eines Pflasters, unangenehm, aber notwendig, und wird am besten rasch erledigt, um den Schmerz auf ein Minimum zu begrenzen. »Asif Murphy. Machen Sie sich nichts draus, das geht mir dauernd so. Mein Name ist nicht leicht zu merken.«
»Meiner auch nicht«, sagt Mei Lin. »Ich hatte immer das Gefühl, ich verbringe meinen halben Arbeitstag damit, meinen Namen am Telefon zu buchstabieren; ich bin schon alles Mögliche genannt worden, das Harmloseste ist noch Mailing wie ›Tragen Sie sich in unsere Mailingliste ein‹. Da ist es einfacher, wenn ich mich von allen Lynn nennen lasse. Und Melody geht’s gut, danke der Nachfrage. Sie krabbelt noch nicht, aber rollt sich durch die Gegend und kommt damit überall hin – neulich ist sie unter dem Sofa verschwunden und kam mit Staubflocken paniert wieder heraus.«
»Hatten Sie da keine Angst?«, fragt Asif interessiert; er hat Babys immer für empfindliche Geschöpfe gehalten, die man in sterile Tücher wickeln muss.
»Es war eher lustig als beängstigend, glaube ich, aber ich war gar nicht da, deshalb kann ich nichts dazu sagen. Die Tagesmutter hat es mir erzählt.« Asif sieht sie unsicher an; er hatte das Gefühl, einen merkwürdigen Unterton herauszuhören. Als sie ihn aber weiter souverän anlächelt, denkt er, dass er sich das eingebildet haben muss.
»Und wie läuft’s mit der Arbeit?«, fragt er, wild entschlossen, das Gespräch am Laufen zu halten, bevor er wieder mit der Tapete verschmilzt. Er hat nur sehr vage Vorstellungen von Interner Kommunikation und glaubt, es wäre vielleicht dasselbe wie Marketing, worüber er ein wenig mehr weiß, da es zum Prüfungsstoff gehört hat. Er zermartert sich das Hirn, aber ihm fallen nur zwei konkrete Dinge ein: Maslows Bedürfnispyramide, die unten bei Nahrung und Wohnraum beginnt und sich nach und nach zu höheren Bedürfnissen verjüngt wie Karnevalskrawatten und Enthaarungswachs, und die Theorie der Teamentwicklung nach Bruce Tuckman: Forming, die Formierungsphase, Storming, die Konfliktphase, Norming, die Regelphase, Performing, die Arbeitsphase, und zum Schluss so etwas wie Mourning, die Trauerphase, aber was den letzten Punkt angeht, ist er nicht ganz sicher. Nichts davon eignet sich für Smalltalk, deshalb ist er froh, als Mei Lin endlich aufhört, an ihrer Uhr herumzufummeln, und ihm antwortet.
»Ach, ganz gut. Ich kann mich nicht beklagen. Als ich im Mutterschutz war, hat Matt ein paar Leute vom Lenkungsausschuss kommen lassen, und die haben meine ganze Arbeit am Firmenimage über den Haufen geworfen. Sie haben alle meine netten, einfachen Leitsätze durch hyperintelligentes Geschwafel ersetzt, um ihr hohes Honorar zu rechtfertigen. Und jetzt muss ich das ganze nächste Wochenende dranhängen, um das hirnrissige Zeug in der Firma zu verbreiten. Sie wissen schon, Sachen wie ›Stimmen aus dem Volk‹, die in der Kantine mittags vom Band
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