Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
Vom Netzwerk:
der Briefbögen, das Glattstreichen der Klebeadressen auf den Umschlägen, das Zusammendrücken der gummierten Streifen zum Verschließen der Kuverts. Ihm gefällt die beruhigende Wiederholung der immer gleichen Bewegungen, die seine Hände beschäftigt halten. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum manche Frauen so gerne stricken. Genauso gefällt ihm die Ruhe im Büro nach Dienstschluss, wenn die Massen fort, die Stimmen verhallt sind. Dann verwandeln sich die Abteilungen Unternehmenssanierung und Finanzdienstleistung, die durch einen Gang mit fensterlosen Sitzungsräumen und ein gemeinsames Sekretariat verbunden sind, in Landschaften aus glänzenden, leeren Schreibtischen, bevölkert nur von gerahmten Fotos der lächelnden Lieben und gelegentlich blinkenden Computern. Terry nimmt das Eintüten nicht so gelassen; er ist jünger als Asif, hat seine Ausbildung noch nicht abgeschlossen und sich von der erdrückenden Monotonie des Arbeitslebens noch nicht zermürben lassen. Noch besitzt er einigen Ehrgeiz und genug Energie, um sich zu entrüsten.
    »Ein hervorragender Schulabschluss plus Uniabschluss«, mault er, schält ein Adressenetikett vom Bogen ab und klatscht es unordentlich auf einen Umschlag. Es sitzt etwas zu hoch, leicht schief und hat an der oberen rechten Ecke, wo er es gehalten hatte, eine kleine Falte. »Und dann zwei Jahre Ausbildung in Rechnungswesen, zwei firmeninterne Prüfungen. Und was kommt dabei heraus?«
    »Dass du nicht schnell genug eintütest«, erwidert Asif, dessen eigener Umschlagstapel fast doppelt so hoch ist wie der von Terry. Terrys Schlamperei erwähnt er erst gar nicht, er will nicht übergenau erscheinen, aber Terrys beschwipst schiefe Etiketten gehen ihm tatsächlich gegen den Strich.
    »Ich glaube, du kapierst nicht, worum es geht, Kumpel«, sagt Terry in plumpem, vertraulichem Ton. »Niemand will, dass wir schnell arbeiten. Der Zweck der Übung besteht darin, Stunden zu schinden, möglichst viel von unserer kostbaren, überqualifizierten Zeit. Damit Hector der Projektor seine Gewinnerwartung fürs zweite Quartal hochschrauben und einen dicken Scheck kassieren kann.«
    »Pst!« Asif blickt ängstlich über die Schulter.
    »W as hast du denn?«, fragt Terry gereizt. »Du glaubst doch nicht, dass der große Meister zwischen seinem letzten Meeting und seinem ersten Martini hier hereinschneit? Nach halb sechs hat den noch niemand hier gesehen.«
    »W en hat nach halb sechs noch niemand hier gesehen?«, blafft Hector. Seine Stimme hallt den Gang entlang, als er wichtigtuerisch auf sie zumarschiert.
    Asif und Terry erstarren unwillkürlich und nicken ihm mit einem verlogenen Lächeln zu, fieberhaft nach einer passenden Antwort suchend. Terry fasst sich als Erster. »Den Typen, der die Drucker betreut«, improvisiert er geschmeidig und verliert damit sofort Hectors Interesse; Hector nimmt die Existenz von Assistenten und anderem Fußvolk kaum zur Kenntnis.
    »Ist sonst niemand mehr da?«, mäkelt Hector mit einem Blick in die Runde. »W ir haben die neuen Studienabgänger zu Drinks eingeladen, im Sitzungssaal im sechsten Stock, und brauchen ein paar Leute, um den Raum zu füllen. Die Finanzdienstleister hängen noch in der INSEAD fest, in Paris gab es ein Durcheinander mit den Flügen, und da oben herrscht gähnende Leere wie in einer Leichenhalle.« Terry sortiert er gleich aus; missbilligend mustert er dessen lose Krawatte und die stachelig gegelte Boygroup-Frisur, nickt dann Asif zu. »Dann kommen Sie mal mit, Arse-if.« Er spricht den Namen so überdeutlich aus, dass er richtig peinlich klingt. »Den Rest kann Terry allein erledigen.«
    Asif nickt und steht auf. »Klar …« Er hält inne, plötzlich unsicher, wie er Hector ansprechen soll. Sir scheint ihm kriecherisch-förmlich, Hector karrieregefährdend vertraulich. »… Boss«, endet er zögernd. Besser hätte er es nicht treffen können, denn Hector bricht in brüllendes Gelächter aus.
    »Boss!«, wiehert er. »Mir gefällt Ihre Vasallentreue, junger Mann, aber vor den Graduierten nennen Sie mich mal lieber Big H, wir wollen ja nicht, dass die schon jetzt aus Angst vor mir im Boden versinken, nicht wahr?« Genauso wichtigtuerisch, wie er gekommen ist, eilt er mit Riesenschritten davon in Richtung Lift, dass Asif Mühe hat, mit ihm mitzuhalten. Er wirft noch einen Blick zurück zum schwitzenden Terry, winkt hilflos und bittet stumm um Entschuldigung. Asif fühlt sich von seiner öden Aufgabe nicht etwa erlöst, vielmehr

Weitere Kostenlose Bücher