Als ich meine Eltern verließ - Roman
Erschöpfung, überall Schmerzen, Erbrechen, starkes Fieber. Mehr nicht. Nicht nur Drogen machen krank. Nicht nur Drogen können unerklärlich sein.
Wieder schleppe ich mich zur Toilette. Nur zehn Meter, die aber trotzdem höchste Anstrengung für mich bedeuten, ich bin körperlich total am Ende. Meine Bewegungen sind so übertrieben langsam, dass Papa annehmen könnte, ich wolle mein Leid zur Schau tragen. Die Anzeichen von Schwäche sind enorm. Aber von Anfang an hatte ich, um nicht sprechen zu müssen, ausdrücklich auf Zeichen bestanden. Papa war ratlos, und das war das eigentliche Ziel des Spiels. Er sieht nichts als diesen Abend, das Spiel ist aus.
Wäre ich bei der Anstrengung, mit der ich mich auf die Toilette geschleift habe, wenigstens auf die Idee gekommen hinzufallen, ohnmächtig zu werden, dann hätte Papa begriffen, dass ich nicht schauspielere, sondern dass gerade wirklich etwas Unnormales im Gange war, von meinen Spielchen mit den stummen Botschaften mal abgesehen. Er hätte auch ohne meine Zustimmung den Notarzt gerufen, vielleicht hätten sie mich ins Krankenhaus gebracht, vielleicht hätte man den tödlichen Erreger rechtzeitig aufgespürt. Genau das war nämlich damals in Brest geschehen. Ein Student, so wie ich, gleiches Alter, einundzwanzig Jahre, gleiches Fieber, gleiche Schmerzen überall. Bis dahin alles Banalitäten. Er fiel jedoch in Ohnmacht. Die Leute in seiner Nähe bekommen Panik und bringen ihn ins Krankenhaus. Er wird abgehört, aber außer hohem Fieber findet man nichts. Da es spät ist und er beim Anziehen beinahe wieder ohnmächtig geworden wäre, behält man ihn zur Beobachtung da, für alle Fälle. Früh am nächsten Morgen, beim Wecken, hat er erneut sehr hohes Fieber, genau wie ich es morgen früh haben sollte. Aber da, in der morgendlichen Dämmerung, hat er Glück. Der Assistenzarzt hört ihn ab, misst Druck, Puls, Fieber und greift auch zum Stethoskop. »Bitte einmal das Hemd anheben …« Auf dem nackten Oberkörper des Studenten entdeckt der Arzt plötzlich kleine violette Stellen, wie blaue Flecken. Er braucht keine zehn Sekunden, um zu verstehen. Alarmstufe Rot! Sprung von der Banalität eines atypischen Fiebers zu einem schwerwiegenden Sonderfall der Sorte, wie sie nur in Medizinbüchern stehen, derart selten treten sie auf: Purpura fulminans . Fulminante Meningitis, tödliche Hirnhautentzündung – vor langer Zeit hat man auch Gehirnwassersucht gesagt. Allergrößte Eile, höchste Lebens- und Ansteckungsgefahr, Isolation, Infusion mit Antibiotika, Intensivstation … Der Student wird überleben.
Ich werde an diesem Abend jedoch nicht ohnmächtig, als ich mich übergeben muss. Ich bin robust. Ich lasse mich halt nicht gehen. Oder es ist der tödliche Erreger, der ein noch hinterhältigeres Spielchen mit mir treibt. Wankend komme ich aus dem Badezimmer zurück. Da ich nicht will, dass Papa heruminterpretiert, dass er im Stillen rätselt und mir Fragen stellt, sage ich nichts, sondern lege mich bloß wieder hin.
Mein Fieber ist enorm gesunken, ich ziehe mir ein paar Sachen aus, bis auf das T-Shirt, die langen Shorts und die Socken. Entspannen. Ich gebe Papa Zeichen, meinen Plexus zu massieren. Darum habe ich ihn noch nie gebeten. Er zögert.
Ich flüstere ihm zu: »Massieren, wie der Krankengymnast.«
Er sieht seine Annahme bestätigt: Ich fühle mich beklommen, habe einen zugeschnürten Magen, es lag an diesen Telefonanrufen, sie haben mich umgehauen, oder an irgendeiner unangenehmen Sache an der Uni. Wenn Papa zum Krankengymnasten geht, ist etwas mit seinem Plexus nicht in Ordnung, die Liebe, das Schreiben, eine Inszenierung oder Ähnliches. Bei mir also das Gleiche. Papa tappt von einer falschen Annahme zur nächsten.
Er führt die Hand unter das T-Shirt und massiert mir den Plexus, ohne hinzugucken. Mein Zimmer liegt ohnehin im Dunkeln, da meine Augen die Helligkeit nicht vertragen. Papa wundert sich, dass er noch immer das Recht hat, den Bauch seines einundzwanzigjährigen Sohns zu streicheln. Er fühlt sich an seine väterliche Bemutterung erinnert, die unser Verhältnis ausmacht, seitdem ich auf der Welt bin, obwohl ihn heute Abend die Nähe beunruhigt. Normalerweise ist Mama für Massagen zuständig. Es muss mir wirklich schlecht gehen, dass ich ihn, der so mittelmäßig gut massiert, um eine Massage bitte.
Ich habe eine Art Beule am Zwerchfell. Seine Hand bringt etwas Linderung. Aber nicht genug. Ich bitte ihn, wie unser Spezialist vorzugehen und mit der
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