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Als ich meine Eltern verließ - Roman

Als ich meine Eltern verließ - Roman

Titel: Als ich meine Eltern verließ - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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wechseln. Es soll ein Citroën werden, allein meinetwegen.
    Der Sonnenuntergang taucht die kleine Straße von Plogonnec in stimmungsvolles Abendlicht. Papa lächelt.
    Ich warte vor dem Friedhof auf Papa, direkt am Eingang. Ich trage meine Jacke, genauer gesagt das Sweatshirt, die Kapuze bis in die Stirn gezogen, und außerdem meine Baggy Pants aus New York. Schon seit geraumer Zeit stehe ich da und warte auf ihn. Damit ich ihn ja nicht verpasse.
    Wenn ich seinen Ford die Rue Laennec am Friedhof von Ploaré entlangfahren sehe, mache ich es wie immer – ich kann nicht anders: Ich bin da, ohne da zu sein. Ich lehne mich schräg mit dem Rücken ans Portal und stehe da wie einer, der so tut, als würde er nur so herumstehen und nicht allzu viel mitkriegen. Verhält man sich nämlich so, als würde man absolut gar nichts mitkriegen, läuft man Gefahr, tatsächlich nicht gesehen zu werden und alles zu vermasseln. Wenn man aber nicht öffentlich zeigen will, worauf man aus ist, und lieber rein zufällig gesehen werden möchte, hat man es mit einem kleinen, aber feinen Unterschied zu tun. Natürlich ist mir daran gelegen, dass Papa mich sieht. Außerdem mag ich es, wenn er gespannt nach mir Ausschau hält. Aber ich will nicht zeigen, dass ich auf ihn warte. Wie ein unauflöslich verquicktes Liebes- und Freiheitsbedürfnis. Eine Neurose.
    Bisher klappte das. Papa sah mich, und ich tat so, als hätte ich ihn nicht gesehen. Er war glücklich und ärgerte sich gleichzeitig über mein falsches, längst verinnerlichtes Versteckspiel der eigenen Sehnsüchte. Ich freute mich, dass er sich freute, und ärgerte mich über seine Verärgerung. So ist das in der Familie, undurchschaubare, verbrämte Angewohnheiten.
    Heute habe ich meinen Einsatz vor dem Friedhof total vermasselt. Als Papas Auto näher kommt, ziehe ich mich schnell in den Schatten des Portals zurück, zu schnell. Das Auto fährt vorbei. Papa erkennt nur noch einen Schatten. Aber ihm kommen Zweifel. Das war Lion, ganz sicher, das muss er gewesen sein. Schon geht wieder dieser Schwachsinn los. Papa redet ruhig auf sich ein: Nein, das war nicht Lion, ich spinne ja, sehe schon Gespenster . Vernunft ist alles, diesen Ankerpunkt will er sich bewahren. Ein Künstler aus dem Kongo hat ihm erzählt, dass man in Brazzaville aufpassen muss, nicht den Verstorbenen über den Weg zu laufen. Man erzählt sich die fürchterlichsten Geschichten, bis hin zu zwei Liebenden, die miteinander geschlafen hätten, die eine am Leben, der andere tot, aus mangelnder Vorsicht. Papa macht nicht kehrt, um zu mir zurückzukommen, Papa fährt weiter die Straße entlang in Richtung Theater, das Lenkrad fest im Griff.
    Wie soll man bloß Abstand gewinnen? Papa tut, was er kann.
    Das Krankenhaus hat Mama und Papa einen Totenschein ausgestellt. Ich bin eines natürlichen Todes gestorben. Die Bombe, die mich mit ihren violetten Kugeln durchsiebt hat, war also ein natürlicher Tod.
    Ein zehn bis fünfzehn Monate altes Baby, Glück der Wiederkehr, ich bin auferstanden. Als ein Baby mit nackter, weicher Haut, das lacht, auch Papa lacht, er streichelt mich, tanzt mit mir, ich bin wieder da, und auch noch als Baby!
    Warum ist es noch besser, als Baby anstatt als Erwachsener aufzuerstehen?
    Bei einer anderen nächtlichen Begegnung mit Papa bin ich geheilt: »Siehst du, es ist vorbei, ich bin zurück und in Form!«
    Béatrice findet, Papas Unterbewusstes sei sehr positiv.
    Mein Grab auf dem Friedhof von Douarnenez ist umringt von Seeleuten. Ich hatte nicht den geringsten Hang zum Wasser, so wie Papa, sein Vater und sein Großvater.
    Ende des aquaphoben Geschlechts.
    * »Schlaf, meine Angebetete, dass die Sonne golden scheine, schlaf.« (Anm. d. Übersetzerin)

6. Kapitel
    Spinoza hat gesagt, die Weisheit
ist nicht ein Nachdenken über den Tod,
sondern über das Leben.
    WLADIMIR JANKELEWITSCH
    Dies Fehlen ist lieblich und sanft
    Schaut allein seine Fülle und Pracht
    Seht mich in jedem aufblitzenden Sonnenstrahl
    In jedem Himmel, jedem gluckernden Bach
    Im weiten Watt und in jeder Möwe am Strand
    SÉVERINE AUFFRET
    IM NOVEMBER, EIN paar Wochen nach meiner »Beerdigung«, stattet Bérangère, meine beste Freundin und Mitstreiterin aus Rennes, Mama und Papa einen Besuch ab. Mehr, mehr … Gierig saugt Papa sämtliche Erinnerungen und Details aus meinem Leben auf, alles, was eine Verbindung zu meiner Vergangenheit herstellen könnte. Mehr, mehr , ad hanc horam, erzählt noch mehr … Papa tut so, als gäbe es mich

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