Als Musik meine Sprache wurde - Die offizielle Autobiografie (German Edition)
Abend nicht. Ich hatte keine Ahnung, wo ich anfangen sollte und wie ich die bisherigen Melodien, die ich eingespielt hatte, mit den Texten zusammenbringen könnte. Zugleich überkam mich die Angst, dass mich irgendjemand in dem Mietshaus, in dem ich wohnte, hören könnte. Nicht, dass ich dabei gedacht hätte, ich würde vielleicht jemanden stören – ich war einfach nur beschämt.
Nach der ersten Aufnahme hörte ich mir das gesungene Elend an und war geradezu entsetzt. Konnte es vielleicht sein, dass mein Stubenkollege sein Lob eher sarkastisch gemeint hatte? Oder lag es an dem vorsintflutlichen Mikrofon und den technisch sehr begrenzten Aufnahmemöglichkeiten? Was ich da hörte, klang muffig, leer und leierte bescheiden vor sich hin. Ich hatte zwar Spaß daran, etwas mit meiner Stimme zu machen, aber was ich da hören musste, klang nicht gerade zukunftsweisend.
Diese erste Enttäuschung zwang mich zwar nicht zur Aufgabe, verleitete mich jedoch zu einer ersten organisatorischen Maßnahme: Wenn ich singen wollte, musste ich – aus Selbstschutz und aus Nächstenliebe – warten, bis meine unmittelbaren Nachbarn ihre Wohnung verlassen hatten. Und da dies meist am Wochenende der Fall war, verlegte ich meine Sangesübungen fortan auf Samstag und Sonntag. Dazu kamen zwei DAT-Rekorder und ein besseres Mikrofon. Die beiden Aufnahmegeräte waren nötig, weil ich eines zum Abspielen meiner damals schon digital gespeicherten Instrumentalmusik brauchte, während ich mit dem zweiten dann das Gesamtwerk aufnehmen konnte.
Das Ganze kostete naturgemäß eine Menge Geld, welches ich zu dem damaligen Zeitpunkt jedoch gar nicht hatte. Und so stand ich eines Tages mal wieder in der privaten Kreditabteilung meiner Eltern und bat sie um 2000 Mark. Ich bekam das Geld auch, nachdem ich wohl sehr gute Überzeugungsarbeit geleistet hatte, und versprach ihnen, es so schnell wie möglich wieder zurückzuzahlen.
Zu Hause angekommen, schloss ich die neuen Geräte an, wartete, bis meine Nachbarn endlich weg waren, und schlich noch einmal durchs Treppenhaus, um zu horchen, ob vielleicht doch noch jemand im Haus war, der mich womöglich hören konnte. Wenn mich in diesem Augenblick jemand in dem Treppenhaus gesehen hätte – ein merkwürdiger Spanner in Socken, der an fremden Türen lauschte –, wäre vermutlich die Polizei gerufen worden. Das passierte aber gottlob nicht, die Luft war rein und ich konnte endlich loslegen …
Die Geräte liefen und der Graf begann zu singen. Mal hoch, mal tief, dann in einer anderen Stimme über meinen bereits aufgenommenen Gesang darübergelegt – und wieder und wieder … Und … Die Sache klang!
Wer hätte das gedacht? Ich konnte mich tatsächlich selbst hören und die Schamesröte stieg mir nicht ins Gesicht. Und das war doch gar nicht so schlecht für den Anfang.
Das Mikrofon klang wesentlich klarer als das alte, das ich zuvor in meinem Keller gefunden hatte. Ich spielte mit Effekten, die ich auf die Stimme legte, probierte stundenlang herum und spielte urplötzlich im Grunde mit einem völlig neuen Instrument: Es war meine Stimme.
Die Zeit verging wie im Flug. Ich bunkerte mich das ganze Wochenende in meiner Wohnung ein und sang, bis mir die Kehle brannte. Die Übung hatte sich schon bemerkbar gemacht, denn meine Stimme gefiel mir von Mal zu Mal besser. Was ich da allerdings sang, war wenig relevant. Es handelte sich um ein paar simple englische Sätze, die mir eingefallen waren. Nichts von Belang und grammatikalisch eine Katastrophe. In der Schule hatte ich zwar Englisch gehabt, wirklich Freude und Leidenschaft wollte in diesem Fach jedoch nie bei mir aufkommen. Und das war nun auch deutlich zu hören.
Ich hatte in Übersetzungsbüchern ein paar Wortspiele herausgesucht und setzte mir die Sätze irgendwie so zusammen, dass sie für mich einen Sinn ergaben. Wenn ich mir allerdings meine textlichen Eskapaden der damaligen Zeit heute anhöre, denke ich, ich hätte mal besser jemanden fragen sollen, der von dieser Sprache etwas verstand.
Gleichwohl war ich damals der Meinung, es wäre richtig und korrekt, und so fand ich auch alles gut, was ich da so anrichtete. Ich stand in meinem Schlafzimmer, das vollkommen abgedunkelt war, und hoffte, dass mich niemand hören konnte. Und dann machte ich meine Aufnahmen … Wenn ich mir dieses Lied heute anhöre, läuft die Session noch einmal wie ein Film vor meinem geistigen Auge ab. Ich kann auch sehr gut verstehen, warum es mir damals peinlich gewesen
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