Als Musik meine Sprache wurde - Die offizielle Autobiografie (German Edition)
über. Clint versuchte, die Situation wieder etwas zu beruhigen, und warf ein, dass wir noch einen Gitarristen hätten, der mit auf die Bühne könnte. Der kleine Mann lachte erneut laut auf.
Dann fing er an, hektisch mit einem Stift auf einem Blatt Papier herumzukritzeln, was – wie er zwischenrein erklärte – sein Konzept werden würde. Da ich ja nun fast alleine auf der Bühne stünde, bräuchte ich ein gutes Bühnenbild, damit das alles nach etwas mehr aussehen würde.
Das immerhin war das Erste, was sich für mich logisch anhörte, und ich stimmte ihm dankbar zu. Er fragte nach meiner Bühnenerfahrung: »Keine!« Sein Gesichtsausdruck wirkte entgeistert, aber er schien auch mit diesem Hindernis klarzukommen. Er malte weiter an seinem Bühnenbild und murmelte, ich solle mir schon einmal Gedanken über mein Outfit machen, schließlich sei ich ja derjenige, auf den letztlich alle Blicke gerichtet wären. Der Satz »Wenn alle Blicke auf dich gerichtet sind« gefiel mir naturgemäß gar nicht und das Ganze ging mir eigentlich auch viel zu schnell.
Wir hatten gerade mal ein Lied fertig und ich sollte mir bereits überlegen, welches T-Shirt ich tragen würde? Blödsinn, meinte unser Live-Experte, für ein Konzert bräuchte man keine Platte – zur Not trete man eben mit Demos auf. Er jedenfalls hätte keine Lust, seine Zeit mit Warten zu vergeuden. Wenn die anderen nicht mitkämen, sei das nicht sein Problem.
Ich dachte mir nur: Was für ein Schwätzer!, und ich ließ ihn einfach reden.
Am Abend war ich froh, dass ich wieder gehen konnte. Clint brachte mich zur Tür und ich fragte ihn, ob er sich sicher sei, dass dies der richtige Weg wäre. Ich hatte Angst, der Typ könnte alles kaputt machen, aber Clint schüttelte nur den Kopf: »Der ist immer so – klappt schon alles!«
Helfende Hände
Bei FanSation kam es zwischenzeitlich zur Vertragsunterzeichnung. Bei dieser Gelegenheit lernte ich endlich auch den Partner von Markus kennen. Während mich in Gegenwart des Produzenten oder des Tourmanagers stets eine merkwürdige Befremdung überkam, fühlte ich mich bei Markus und Ollie richtig wohl. Die Gespräche mit ihnen waren immer sehr sachlich und keiner hatte ständig zu beweisen, dass er der Größte ist. In dieser Atmosphäre kam dann auch die Frage nach einem möglichen Pseudonym. Unheilig war schließlich nur der Bandname und die beiden Jungs von FanSation gaben mir zu verstehen, dass in Pressetexten auch etwas über den Künstler selbst stehen müsste. Die Leute würden schließlich gerne wissen, wen sie da vor sich hatten.
Nicht, dass ich damals davon ausgegangen wäre, einmal ein erfolgreicher Künstler zu werden, aber mir wurde sofort klar, dass ich meinen richtigen Namen aus der Sache heraushalten wollte. Niemand brauchte zu wissen, wie ich heiße und wo ich wohne. Ich hätte es mir auch nie verziehen, wenn irgendwann einmal ein Mitglied meiner Familie auf meine Arbeit angesprochen worden wäre. Mein Privatleben sollte – ganz egal, wohin die Reise einmal gehen sollte – mein Privatleben bleiben.
Mir fiel ein, dass ich in der Vergangenheit mit dem Namen »The Graf« gearbeitet hatte und man diesen Namen vielleicht wiederbeleben könnte. Ein zufriedenes Nicken ging durch die Runde, und so war an diesem Tag auch mein Pseudonym geboren worden: Der Graf.
Markus und Ollie zeigten mir überdies ein paar Zeitschriften aus der Gothic-Szene, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. »Unheilig«, »Der Graf«, düsterer Sound – das gesamte Projekt schien am ehesten im Bereich Gothic angesiedelt, was ich nicht leugnen konnte. Ich kannte natürlich ein paar Bands, die in den Magazinen abgebildet waren, von einer sogenannten Gothic-Szene allerdings wusste ich tatsächlich nichts.
Ich hatte im Grunde nie darauf geachtet, welche Musik zu welcher Richtung gehörte. Mir ging es immer nur um zwei Dinge: Gefällt mir oder gefällt mir nicht! Wir redeten an diesem Tag noch sehr lange und entwickelten so – Zug um Zug – ein Bild von Unheilig.
In den Tagen darauf ließ ich mir von der Freundin meiner Mutter einen Mantel schneidern und auf der Suche nach geeigneten Stiefeln landete ich zwischenzeitlich sogar in einem SM-Laden, bis ich schließlich 70 Kilometer von meiner Heimatstadt entfernt in einem winzigen Geschäft fündig wurde.
Ich hatte niemanden, der mich beriet. Es lag allein bei mir, wie ich aussehen würde. Nur eines stand fest: Den Grafen Dracula würde es nicht mehr geben! Zu Hause angekommen,
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