Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
Marco war ihr zweites Kind – das erneute Muttersein bewahrte sie vor dem verhassten Schichtdienst. Außerdem musste sie auch noch auf ihren Freund aufpassen, der sich während seiner Krankenhausbesuche als eher lebensunpraktischer Geselle herausstellte. Er müffelte nach Schnaps und fragte immer wieder nach, wann Sabine denn nun endlich nach Hause komme – er habe nichts Sauberes mehr zum Anziehen.
Dann war da noch Nadine, die Spreewaldgurke. Nadine war gerade erst aus der sächsischen Provinz nach Berlin gezogen. Sie lernte Bürokaufmann, die Bezeichnung Kauffrau war für diesen typischen Frauenberuf noch nicht erfunden. Nadine hatte – als Verehrerin des englischen Königshauses – einem zarten Mädchen namens Dajana das Leben geschenkt. Mich würde heute interessieren, was aus diesem Kind geworden ist. Was wird man mit diesem Namen? Wie gucken Passbeamte am Londoner Flughafen?
Dajanas Mama jedenfalls war ein blutjunges Ding von siebzehn Jahren. Ihr Freund Sandro war ebenfalls jugendlich, bei genauerem Hinsehen noch kindlich. Während ihrer Schwangerschaft hatte Nadine sich am allerallermeisten darauf gefreut, ihr bald geborenes Kind nach Herzenslust schön anziehen zu können. »Ausstattung« lautete das Zauberwort. Und zu einer Ausstattung gehörte natürlich ein schicker, repräsentativer Kinderwagen – in dieser Hinsicht hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten nichts geändert. Na gut, außer vielleicht beim Preis.
Nun waren wir ja Bürger der DDR , wo es Schrippen für fünf und Busfahrten für zwanzig Pfennig gab. Und es gab auch Kinderwagen. Aber eben nur ein paar Modelle. Eines dieser Gefährte hatten pfiffige Produktgestalter mit einer Bommelborte rund um das Verdeck zu verschönern versucht. Erst neulich habe ich es wiedergesehen, die eBay-Preise für diese Produktdesignkatastrophe sind astronomisch. Nadine jedenfalls liebte diesen Kinderwagen. »Troddelchens« nannte sie den Bommelzierrat. Sie hatte es mit Geld, Beziehungen und guten Worten tatsächlich geschafft, in den Besitz eines solchen Gefährts zu kommen. Darüber freute sie sich tagelang. Denn darin würde sie ihre kleine Dajana durch Ostberlin kutschieren, und zwar »mit Troddelchens«. Noch heute beschreibe ich heiß geliebten Plunder mit diesem schönen Wort. Danke, Nadine!
Am siebenten Krankenhaustag, ich sollte nach Hause entlassen werden, stand ich wie ein Vollpfosten vor der Aufgabe, Hanna zum ersten Mal zu wickeln. Sie wurde aus all ihrem Molton, den Jäckchen und Hemdchen gewickelt und vor mich auf einen Wickeltisch gelegt. Nun zeig mal, ob du das kannst! Ich weiß noch, wie sich das anfühlte. Eine Riesenüberraschung, so ein kleines rosa Mädchen: Ich hatte sie erst einmal nackt gesehen. Und ich kannte keinen einzigen dieser komplizierten Handgriffe, mit denen ein Kind in Stoffwindeln gewickelt und schließlich mit allerlei Bändchentricks angezogen wurde.
Ungeduldig stand eine Kinderkrankenschwester neben mir und sah meinem Treiben zu. »Das müssten Sie doch im Kinderpflegekurs gelernt haben!«, sagte sie. Kinderpflegekurs? Nie gehört. Sorry, da musste das staatliche Gesundheitswesen einen Fehler gemacht haben – Frau Maier, 23, war offensichtlich durch sämtliche Mütterertüchtigungsmaßnahmen gerutscht. Mal wieder: schuldig. Zweimal wurde Hanna nun aus- und angezogen. Einmal von der Kinderkrankenschwester, einmal von mir – als Nachweis, dass man mir dieses Kind anvertrauen konnte, dass es also nicht halb entblößt und mit losen Bändchen aufwachsen musste. Irgendwie kriegte ich es schließlich hin, und wir durften gehen.
Der Kindsvater sammelte uns ein. Völlig ermattet von einer Woche Rumliegen, watschelte ich, Hanna auf dem Arm, aus der Wöchnerinnenstation. Draußen war eisiger Winter. Der Trabbi töffte tapfer gegen die Kälte an, ich drückte Hanna an meinen Körper, sie würde nun für immer bleiben. Ein unglaublicher Gedanke. Ich fing an zu weinen. Gern würde ich sagen: vor Glück. Aber ganz ehrlich, ich hatte vor allem Angst. Wer war ich schon? Was konnte ich denn? Nicht mal eine Windel stecken.
Und tatsächlich, schon in der ersten Nacht in elterlicher Selbstverwaltung brach eine Hungerkatastrophe aus. Es kam keine Milch mehr! Damit und mit dem morgendlichen Gang in die nahe Kaufhalle sowie dem Erwerb von zahlreichen Flaschen aus Jenaer Glas und mehreren Packungen Fertigmilchpulver endete Hannas Stillzeit. Niemals hat man mich später von den Freuden des mütterlichen Nährens, der Innigkeit und
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