Als schliefe sie
genannt. Denn Madame Laura hatte in der Familie das Sagen. Außerdem soll sie – und nur Gott weiß, ob es stimmt – die besondere »Kundin« des Hafendirektors, Khawâdscha Nâdschi Pharao, gewesen sein. Abdallah Suraiq, so munkelte man, habe es gewusst und den Ahnungslosen gespielt. Bei dem Wort »Pharao« in Verbindung mit der Bezeichnung »Laura-Söhnchen« wurde aus dem Streit ein wahres Gemetzel. Wie aus dem Boden geschossen, waren die fünf Suraiq-Jungs zur Stelle und droschen wahllos auf jeden ein, der sich in der Nähe aufhielt. In dem Durcheinander bot sich Mitri die Gelegenheit. Unbemerkt schlich er sich davon und überließ das Schlachtfeld den Prügelnden. Als diese kurz darauf bemerkten, dass Mitri verschwunden war, hörten sie auf, und es kehrte Ruhe ein. Allerdings sprachen die Suraiq-Jungs, wie die jungen Männer im Viertel hörten, deutliche Drohungen aus. Sie würden Mitri in die Fotze seiner Mutter zurückschieben, schworen sie.
»Mitri hatte schreckliche Angst«, erzählte Malika. »Drei Nächte hat er im Haus geschlafen. Er traute sich weder in sein Baumhaus noch zur Arbeit in den Hafen. Am Morgen des vierten Tages beruhigte ihn sein Vater. Er habe mit Abdallah Suraiq gesprochen, sagte er. Die Sache sei die ganze Aufregung nicht wert, und alles sei wieder in Ordnung. Mitri war skeptisch. Er habe seine Mutter im Traum gesehen, erzählte er mir. Sie sei spindeldürr gewesen und habe ihn an die Brust gedrückt. Dann habe er nur noch Finsternis gesehen und sich gefürchtet.«
»Hat er von der Glocke geträumt, an der er erhängt wurde?«, fragte Milia.
»Nein, er hat von seiner Mutter geträumt. Und sie war… O Gott, steh uns bei! Weißt du, was er mich fragte? Er fragte, ob ich das Parfüm seiner Mutter röche. Außerdem verriet er mir, dass sein Vater keine neue Matratze gekauft habe, als er mich heiratete. Nakhla hatte mich belogen. Er behauptete, ein neues Bett angeschafft zu haben. In Wirklichkeit aber hat er das alte Bett behalten und nur neu gestrichen. Seit ich das wusste, konnte ich nicht mehr schlafen. Ich bin nachts wie ein Gespenst durch das Haus gespukt. Nakhla dachte, die Schlaflosigkeit rühre von meiner Trauer her. Eine Woche nach dem Tod des Jungen ist mir der Kragen geplatzt, und ich bin laut geworden. Er solle auf der Stelle ein neues Bett samt Matratze beschaffen, sonst ginge ich zu meinen Eltern zurück, brüllte ich ihn an.«
Saada hat nie von ihrem verstorbenen Bruder gesprochen. Sein Tod habe ihre Mutter erschüttert, sagte sie. Vier Jahre habe Malika Trauer getragen. Sie wollte sogar, wie alle Mütter, die ein Kind verloren haben, ihr Leben lang dabei bleiben. Doch ihr Mann habe es ihr verboten. »Was geht er dich an? Das ist nicht dein Sohn, sondern der Sohn seiner Mutter«, sagte Nakhla und zwang sie, die schwarzen Kleider abzulegen.
Der Sohn seiner Mutter starb erhängt. Er und seine Brüder, so berichtete Samîh Suraiq, seien in den Kirchhof gegangen, um beim Glockenläuten zu helfen. Den Streit mit Mitri hätten sie, nachdem sich Nakhla Schalhûb an seiner statt entschuldigt hatte, vergessen. Als sie auf dem Kirchhof eintrafen, läutete Mitri gerade die Glocke. Kaum habe er sie erblickt, sei er wie angestochen das Seil hinaufgeklettert. Fassungslos hätten sie das Schauspiel verfolgt. Je weiter er sich hinaufhangelte, desto höher sei er von der Glocke gerissen worden, das Ganze begleitet von einem ohrenbetäubenden Läuten, wie man es noch nie gehört hätte. Sie hätten Mitri fliegen sehen, sagte Samîh. Was vor sich ging, hätten sie erst begriffen, als das Glockengeläut erstarb und Mitri, das Seil um den Hals, flatterte wie ein geschlachteter Vogel. In Windeseile seien sie das Seil hinaufgeklettert, um ihn zu retten. Doch als sie ihn erreichten, hätten sie nichts mehr ausrichten können. Sein Hals sei bereits dünner gewesen als das Seil und sein Gesicht hellblau angelaufen. Nakhla glaubte ihm nicht. Aber er hatte keine andere Wahl. Ein Krieg mit den Suraiq-Jungs hätte seinen sicheren Tod bedeutet. Und Rache hätte ihm den Jungen, der, wie angekündigt, in den Bauch seiner Mutter zurückgekehrt war, nicht wiedergebracht.
»Heißt das, dass man in den Bauch seiner Mutter zurückkehrt, wenn man stirbt?«, fragte Milia ihre Großmutter.
»Das ist Unsinn, mein Kind. Es ist, wie ich dir gesagt habe. Der Tod ist ein Traum. Man bleibt, wo man ist, geht auf Reisen und kehrt erst zurück, wenn man das Licht erblickt.«
»Aber warum haben sie ihn umgebacht,
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