Als schliefe sie
Mann, der sich eine Geliebte hielt, allerdings darauf bedacht war, dies ja nicht bekannt werden zu lassen, war eines der Geheimnisse jener reichen Beiruter Familien, die den Grundstein für das eigene Aussterben legten, indem sie vor der Ehe zurückscheuten. Sie schufen eine gesellschaftliche Tradition, die auf dem Doppelleben beruhte. Nach außen hin gaben sie sich als fromme, pflichtbewusste Kirchenbesucher. Im Privaten aber unterhielten sie Beziehungen mit Konkubinen. Konkubinen, die entweder Ibrâhîm Paschas Gefolgschaft entstammten oder aber der Gefolgschaft von Alexander dem Großen, wie zum Beispiel Frau Marika Spiridon. Doch das ist eine andere Geschichte.
»Schluss mit dem Quatsch!«, schimpfte Hasîba. »Ich bleibe keine Minute länger in diesem Haus. Das ist ein Haus der Sünde!«
Welche der beiden Sünden meinte sie?
Die Beziehung zu einer Frau mit zweifelhaftem Ruf? Oder die Tatsache, dass der Vater seinen Sohn zu töten versuchte, indem er ihm einen Stein an den Kopf warf, bevor er selbstgefällig aufgeplustert zu seiner Geliebten hineinging?
Hasîba jedenfalls wusste eines: Dass sie nun, wie in der Zeit vor ihrer einzigen Schwangerschaft, wieder ein jungfräuliches Dasein führte, versteckt in einem langen schwarzen Kleid, das, streng bis oben hin zugeknöpft, ihren zugeknöpften Körper versinnbildlichte. Hochgewachsen, der Körper rank und schlank, die Augen etwas hervortretend, eine große Nase, die mitten aus dem Gesicht stach. Die Ausstrahlung, die von ihrer Schweigsamkeit ausging, war unwiderstehlich. Hasîba verbrachte ihre Tage in Schweigen und in die Farbe Schwarz gehüllt. Sie könne im Dunkeln sehen, weil ihre strahlenden Augen die Dunkelheit durchdrängen, behauptete Jûsuf. Er bat Saada um Nachsicht mit der Mutter, die, ans Bett gefesselt, ihrem Ende entgegenging. Schließlich habe sie auch ihre guten Eigenschaften. Außerdem habe sie schwere Zeiten hinter sich.
»Siehst du, wie sich der Schmerz in ihr Gesicht gegraben hat? So war ihr ganzes Leben. Schmerzen über Schmerzen. Also bitte, Saada, sei nett zu ihr!«
»Aber dieser Gestank! Deine Mutter lässt sich die Bettpfanne nicht unterschieben. Und wenn doch einmal, dann verkneift sie sich das Geschäft. Kaum aber liege ich im Bett und will schlafen, geht der Gestank los. Die reinste Tortur ist das! Was habe ich dem lieben Gott denn bloß getan?«
Der Gestank, über den sich Saada beschwerte, war das Letzte, was man von einer Frau wie Hasîba erwartet hätte. Einer Frau, die immer von einer Wolke aus Seifenduft und Parfüm umhüllt gewesen war. Ihre Kosmetik hatte sie nach eigener Rezeptur selbst hergestellt. Rosen in Wasser gelegt, Jasmin und Basilikumblätter hinzugefügt, daraus bereitete sie sich ihre Gesichtspflege zu. Der betörende Duft erfüllte Raum und Luft um sie herum. In zugeknöpftem schwarzem Kleid, aus dem nichts als Wohlgeruch drang, wandelte sie wie ein stummer Geist umher und löste bei den anderen Bewunderung und Ehrfurcht aus. Dennoch vermochte Salîm sie zu demütigen. Und der Gipfel der Demütigung war erreicht, als er das Haus der Ägypterin kaufte. Milia erfuhr die Geschichte von ihrer Mutter und die wiederum von Jûsuf. Jûsuf seinerseits erfuhr sie durch den Stein, der ihn beinahe das rechte Auge gekostet hätte.
Warum hat Jûsuf geschwiegen, als sein Vater das Haus kaufte?
Eines Tages kam Salîm mit der Nachricht heim, dass er ein neues Haus gekauft habe. Hasîba sagte kein Wort. Die Freude, die sie mit einem Umzug aus der kleinen Zwei-Zimmer-Behausung mit Bad im Hof in ein richtiges Haus verbunden hatte, trat nicht ein. Salîm schlug eine Hausbesichtigung vor, doch sie lehnte ab. Er fragte nach ihren Vorstellungen bezüglich neuer Möbel, doch das war ihr, wie sie sagte, egal. Still packte sie zusammen und bereitete den Umzug vor. Alles ging glatt vonstatten. Die Familie bezog das neue Haus. Salîm und Hasîba richteten sich im Lîwân ein. Und nebenan im geräumigen Dâr, der mit dem Lîwân verbunden war, bekam Jûsuf in einer Ecke seinen Schlafplatz. Alles nahm seinen geregelten Gang, bis Hasîba von der Sache erfuhr. Da platzte ihr der Kragen. Alles Stillschweigen, das in dem zugeknöpften schwarzen Kleid gesteckt hatte, schlug in hemmungslosen Zorn gegen Jûsuf um. Sie verzieh ihm nicht, dass er ihr die Wahrheit verschwiegen hatte. Wie sie es in Erfahrung gebracht oder wer sie in Kenntnis gesetzt hat, sind müßige Fragen.
»Wir haben keine Geheimnisse«, erklärte Saada ihrer Tochter. »Alle
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