Als schliefe sie
nachtrauerst. Wer deine Ehre und die deiner Familie schützt, bin ich. Zwing mich also nicht, richtig auszupacken!«
Mit seinen Worten zerschmetterte Salîm die ihren. Er hatte das Unausgesprochene ausgesprochen, ihr das lange zugeknöpfte schwarze Kleid vom Leib gerissen, ihr Seele entblößt. Hasîba verlor den Halt. Ihre Knie knickten ein, sie brach zusammen. Neben ihr hockte, wie ein Hund, der halbwüchsige Jûsuf. An dem Tag beschloss Jûsuf, seinem Vater die Meinung zu sagen. Lange genug hatte er zu dem Stein und dem verwundeten Lid geschwiegen. Doch nun, da seiner Mutter der Kragen geplatzt war, sah er seine Zeit gekommen. Endlich hatte er die Gelegenheit, sich zu rächen und die Wahrheit ans Licht zu bringen. Am liebsten hätte er den Kerl, der aus seiner Impotenz eine legendäre Liebesgeschichte zu einer ägyptischen Hure gemacht hatte, verprügelt. Angesichts der Tatsache aber, dass seine Mutter, durch Worte entblößt, den Halt verloren hatte, hockte er einfach nur da, ohnmächtig wie ein Hund, dem das Recht zu bellen verwehrt ist.
Jûsuf hielt seinen Vater für einen Narren. Denn Mariam gehörte nicht ihm. Khawâdscha Aftimus hatte ihr das Haus geschenkt, damit sie darin ihrem Gewerbe nachging. Er hatte sie satt. Und um seine Ruhe vor ihr zu haben, kaufte er sich mit dem Haus frei. Das Grundstück ließ er zwar nicht auf ihren Namen eintragen, räumte ihr jedoch das Nutzungsrecht auf Lebenszeit ein. Daher war es Salîm nach ihrem Tod möglich, das Haus von Aftimus’ Erben zu kaufen. Der Khawâdscha hatte das Haus samt Garten und Bäumen am Daabûl-Weg, einer Abzweigung der Erzengel-Michael-Straße, gekauft und seiner Konkubine das Recht gewährt, darin und davon zu leben. Da hatte sie es in ein Bordell verwandelt.
»Du bist ein Narr, Vater!«, schimpfte Jûsuf. »Das ist eine Nutte! Die ist keinen Pfifferling wert!«
»Halt den Mund, Dreckskerl!«, brüllte Salîm und wandte sich seiner Frau zu.
Er machte ihr Vorhaltungen wegen der Geschichte, die sie im Innersten begraben zu haben glaubte. Den blonden Mann mit himmelblauen Augen hatte sie in ihrem Herzen bestattet. Eine bloße Geschichte war das keineswegs. Es war Liebe. Zwei Mal hatte er sie gesehen und ein Mal angesprochen. Nein, er hatte nichts gesagt, sondern nur gelächelt. Dann war er verschwunden. Das war alles. Aber es war Liebe. Wie blind fühlte sie sich danach. Nur noch den blonden Mann sah sie. Nur noch den weißen, aus seinem schneeweißen Körper aufsteigenden Duft atmete sie. Wie ihre Schwestern von der Sache erfuhren, konnte sich Hasîba nicht erklären. Denn sie hatte sich in ein schwarzes Kleid gehüllt, um die Spuren des weißen Engels fortzuwischen. Dann hatte sie Salîm Schâhîn, den mehr oder weniger erwerbslosen Zimmermann, geheiratet, um ihr rasendes Herz zur Ruhe zu bringen. Ihr Herz erlosch, ihr Körper erlosch. Und nun erdreistete sich Salîm, dessen Impotenz und Untreue sie ertragen musste, die Wunde aufzureißen und den Leichnam des blauäugigen Mannes auszugraben.
Hasîba war am Boden zerstört. Die geschlossenen Lippen zitterten, sie hockte in einer Ecke und weinte trockene Tränen. Jûsuf hatte das Gefühl zu ersticken. Er wollte verstehen. Ihm drängte sich der Gedanke auf, dass er der Sohn eines Franzosen war, dessen Namen er nicht kannte und nach dem er niemanden fragen konnte.
Nach Jûsufs Heirat stimmte Hasîba dem Plan zu, einen Betonflügel an das Haus anzubauen. Außerdem ermutigte sie ihren Sohn, die Abâja ab- und europäische Kleidung anzulegen; eine weitere Geschichte, die im Leben der Schâhîns eine Rolle spielte. Jûsuf hatte Spaß daran, seinen Kindern diese Geschichte vorzuspielen. So viel Spaß, dass er es tagaus, tagein tat, bis Saada ihn schließlich bat, damit aufzuhören. Denn das Mädchen sei herangewachsen und solches Gerede nun nicht mehr angebracht. Jûsuf aber, der, kaum vom Geschäft heimgekehrt, die Hose auszog und in die Abâja schlüpfte, weil ihm ein Pyjama nachts, wie er sagte, die Hoden abklemme, ließ sich nicht den Mund verbieten. Unbeirrt erzählte er weiter. Von dem Erstickungsanfall, den er bekam, als er zum ersten Mal eine Hose trug. Davon, dass er nicht wusste, wohin mit seinem Gehänge. Dass er mit Stoff und Naht im Schritt kaum gehen konnte. Dass er nahe daran war umzufallen, als er, die Braut untergehakt, in die Kirche trat. Dass der Weg aus der Kirche allerdings noch viel schwieriger war, weil ihm vor lauter Beengung die Hose zu platzen drohte.
Jûsuf konnte die
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