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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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hatte.
    »Da war kein Weinglas«, widersprach er. »Du hast zwar von einem Weinglas gesprochen. Aber ich habe nur ein normales Glas gesehen. Das Glas ist runtergefallen und zerbrochen. Also bitte, lass uns jetzt die Sachen packen und gehen. Und hör endlich mit diesen Geschichten auf!«
    »Mûsa hat den Wein getrunken. Die Scherben auf dem Boden haben geleuchtet. Und als ich mich hinkniete…«
    »Schluss damit!«, fiel er ihr ins Wort.
    Sie erstarrte. Dieses »Schluss damit« traf sie wie ein Blitz, verschlug ihr die Sprache. Sie begriff, dass sie es von nun an mit einem anderen Mann zu tun hatte.
    Eine Frau, so sagte Hasîba, sei im Leben nicht mit ein und demselben Mann verheiratet.
    »Das ist eine Lüge. Salîm, den ich geheiratet habe, war ein anderer als der an Mumps erkrankte Salîm. Der Mumps-Salîm war ein anderer als der Salîm, der, wieder gesundet, von seinem schlaffen Glied wie besessen war und völlig verloren in die Welt schaute. Der Salîm mit verlorenem Blick war ein anderer als der Liebhaber von Mariam. Dieser wiederum war ein anderer als der, der das Haus seiner ägyptischen Hure kaufte und mich dort hineinsetzte. Und der Hausbesitzer-Salîm war ein anderer als der, der seinen Sohn mit einem Stein erschlagen wollte. Der Sohn-Mörder war ein anderer als der Mann, der, bewusstlos im Ungewissen schwebend, am Boden lag. Ich war mit vielen Männern verheiratet, und jedes Mal musste ich mich neu eingewöhnen. Ich bin erschöpft, mein Sohn. Lass mich hier sterben.«
    Das sagte sie zu Jûsuf, als er sie unter dem Johannesbrotbaum auf der Erde hockend fand. Hasîba war wie immer am Abend aus dem Haus gegangen. Im langen schwarzen Kleid spazierte sie durch die dunklen Straßen. An jenem Tag aber kehrte sie nicht heim. Also machte sich Jûsuf auf die Suche nach ihr. Er lief alle Straßen in der Nachbarschaft ab. Am Ende seiner Kräfte angelangt, fand er sie schließlich auf dem Sandweg unter dem Johannisbrotbaum sitzend. Zuerst schimpfte er mit ihr. Doch dann hörte er, wie schwach ihre Stimme klang.
    »Ich komme nicht hoch«, sagte sie.
    Er nahm ihre Hand und merkte, dass ihre Muskeln völlig erschlafft waren.
    »Was ist mit dir, Mutter? Komm, steh auf!«
    Die Ausführungen über ihren Mann, auf den sie sich oft hatte neu einlassen müssen, waren ihre letzten klaren Worte. Mansûr zog sie am Arm, wollte ihr auf die Beine helfen. Doch sie sackte in sich zusammen.
    »Was ist passiert, Mutter? Sprich!«
    Jûsuf sah Tränen auf dem weißen, von schwarzen Runzeln zerfurchten Gesicht. Er beugte sich zu ihr, klappte sie zusammen und hievte sie sich auf die Schulter. Sie war leicht wie eine Feder. Die hochgewachsene, schöne Hasîba war zu einem Haufen Knochen verfallen. Der Körper schien sich aufgelöst zu haben. Wie ein Vogel ohne Flügel wirkte sie.
    Mit ihr auf der Schulter ging er los. Er wusste, dass er sie in den Tod trug. Denn er kannte sie. Schließlich hatte er erlebt, wie sie Salîm in Grund und Boden geschrien hatte. Erlebt, wie sie sich dagegen gewehrt hatte, in dem Haus wohnen zu bleiben, und ein anderes Haus einforderte. Erlebt, wie sie ihn, den Sohn, zur Rede stellte, weil er ihr in Bezug auf sein Auge nicht die Wahrheit gesagt hatte. Erlebt, wie er, von ihr in die Enge getrieben, die Hand auf die aufgeplatzte Augenbraue legte und sie mit flehendem Blick anschaute, um zu sagen, dass sie bitte nicht weitersprechen solle. Doch sie sprach weiter, zu Salîm:
    »Trau dich! Los, gib es zu. Sag, wer das Auge des Jungen getroffen hat. Sei ein einziges Mal im Leben ein Mann und sprich. Los, spuck es aus!«
    »Halt den Mund, Frau. Dir selbst zuliebe. Im Übrigen wurde das Auge des Jungen nicht getroffen. Er hat mit den Kindern im Viertel gespielt. Und alles ist, Gott sei Dank, noch einmal gut gegangen.«
    »In meinem ganzen Leben ist mir noch kein Mann begegnet, der versucht hat, seinen Sohn umzubringen. Du wolltest den Jungen umbringen, um deine ägyptische Hure zu schützen! Nicht zu fassen! Du jämmerliche Person. Mich führst du nicht mehr hinters Licht. Dein wahres Gesicht ist erkannt. Jedenfalls werde ich keine Minute länger in diesem Haus bleiben!«
    Jûsuf wollte etwas sagen, versuchte zu sprechen. Sein Vater aber verbot ihm den Mund.
    »Sei still und geh hinaus. Ich habe mit deiner Mutter zu reden. So, und nun zu dir, Frau. Du willst also wissen, was los ist. Na gut. Es geht um die Sache, über die alle Welt Bescheid weiß. Es geht um den französischen Offizier, dem du schon dein Leben lang

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