Also lieb ich ihn - Roman
eines Mädchens aus Sams Leichtathletikteam haben bei der Schule Beschwerde eingereicht; angeblich hat er unpassende Bemerkungen gemacht. Bist du jetzt zufrieden?«
»Unpassend – wie etwa sexuelle Anspielungen?«
»Fällt dir etwas anderes ein?« Allison klingt verbittert. »Letztes Frühjahr hat er die siebten und achten Klassen trainiert, in dem Alter spielen die Hormone verrückt, und heutzutage flippen die völlig aus. Nicht so wie wir in dem Alter – diese Mädchen tragen knappe kleine Sport-BHs und tänzeln in ihren Sporthöschen herum und stellen ihm lauter explizite Fragen, wollen zum Beispiel wissen, was ›blasen‹ bedeutet, und dann erzählen sie überall herum, dass er ihnen zu nahe getreten ist.«
»Was sagt die Schule dazu?«
»Die halten jetzt Sitzungen ab, um darüber zu befinden. Womöglich wird er im Herbst vom Training suspendiert, was absolut lächerlich wäre. So wie’s aussieht, ist er schuldig, bis seine Unschuld bewiesen ist.«
»Aber deswegen bist du doch nicht
ihm
böse, oder?«
»Die Situation ist vertrackt. Irgendwas riecht hier verbrannt, merkst du das?«
Hannah schnuppert kurz und schüttelt den Kopf. |283| »Kennst du den Wortlaut der Beschwerde? Was genau soll Sam gesagt haben?«
»Die Mädchen haben wohl Prostituierte gespielt oder so, und Sam witzelte, dann sollten sie doch gleich ins Rotlichtviertel sprinten.«
»Buh«, ruft Hannah.
»Danke, echt nett von dir«, zischt Allison. »Er war schlecht beraten. Aber pervers ist er nicht.«
»Das hab ich auch nicht gemeint, mir ist das schon klar. Du und Sam seid das ideale Paar – Mr. und Mrs. Perfekt.«
»Oh, das hätte unsere Eheberaterin bestimmt gern gehört.«
»Moment – ihr geht zu einer Eheberaterin?«
»Das haben wir schon vor unserer Verlobung getan. Sie kostet ein Vermögen.«
»Ihr habt eine Eheberaterin konsultiert, ohne verheiratet zu sein?«
»Eigentlich ist sie Paartherapeutin. Ist auch egal. Reiß dir endlich die Scheuklappen runter, Hannah. Es gibt keine perfekten Paare.«
Das erinnert Hannah an ein anderes Gespräch, aber welches? Gerade als ihr wieder einfällt, dass Elizabeth Ähnliches gesagt hat, nachdem Julia Roberts und Kiefer Sutherland ihre Hochzeit abgesagt hatten, gerade als sie sich daran erinnert, wie sie vor zwölf Jahren in Pittsburgh neben ihrer Tante auf den Stufen der vorderen Veranda saß, ruft Allison: »Verdammt, Hannah, die Motorhaube qualmt! Fahr rechts ran!« Während Hannah bremst und den rechten Blinker setzt, lehnt sich Allison über das Steuer. »Sieh dir mal die Temperaturanzeige an!«, sagt sie. »Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst ein Auge drauf haben?«
Weiter kann die Nadel nicht ausschlagen: Sie zeigt in den knallroten Bereich. Inzwischen quellen dicke Qualmschwaden aus der Motorhaube, und Hannah riecht es nun |284| auch – es riecht nach angebrannten Meeresfrüchten. Als sie auf dem Seitenstreifen stehen, steigt Allison aus; Hannah rutscht auf die Beifahrerseite, um dort ebenfalls auszusteigen. Sie halten ein paar Meter Abstand von der Haube, die schwüle Nachmittagsluft drückt sie nieder, neben ihnen rauschen die Autos vorbei. »Soll ich sie öffnen?«, fragt Hannah. Allison meint: »Der Motor ist überhitzt. Du solltest einen Profi kommen lassen.«
Nachdem Allison bei der Pannenhilfe angerufen hat – ein Glück, dass zumindest sie dort Mitglied ist –, sagt sie: »Die Handbremse hattest du aber nicht angezogen, oder?« An ihrer Oberlippe bilden sich Schweißperlen.
»Nein. Wieso muss das unbedingt meine Schuld sein?«
»Sag ich doch gar nicht. Mir ist bloß aufgefallen, dass beide Vorfälle sich ereignet haben, als du am Steuer warst.«
»Allison, du hast dir schier einen abgebrochen, um mir weiszumachen, dass pausenlos Tiere überfahren werden.«
Nach einer Weile sagt Allison: »Nicht zu fassen. Dabei sind wir nur eine Stunde von Chicago entfernt.«
»Hast du’s denn so eilig? Wolltest du heute Abend noch ins Museum?«
»Ich wollte bloß nicht mitten in Indiana stranden.«
»Das hätte genauso gut passieren können, als du gefahren bist«, sagt Hannah.
Allison gibt keine Antwort.
»Du bist so gemein«, sagt Hannah. Sie läuft ein paar Schritte den Wiesenhang hinunter, der sich an den Seitenstreifen anschließt. Sie will sich den vorbeifahrenden Autos nicht zur Schau stellen, will sich nicht dem Gefühl aussetzen, dass die anderen Fahrer um nichts in der Welt mit ihr tauschen wollten. Sie verschränkt die Arme, dann dreht sie sich zu ihrer
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