Also lieb ich ihn - Roman
Hannah bis Viertel vor neun. Geweckt wird sie von Allison: »Steh endlich auf, Hannah. Tante Elizabeth ist am Apparat, sie möchte dich sprechen.« Als Allison die Vorhänge aufzieht – die pink gestreiften, die ihre Mutter in Hannahs Zimmer anbringen ließ, als sie vor zwölf Jahren das neue Haus bezogen –, muss Hannah blinzeln. Draußen vor dem Fenster segeln weiße Flocken vorbei.
»Schneit es schon wieder?«, fragt sie.
»Angeblich nur ein paar Zentimeter. Beeil dich, Elizabeth wartet.« Bevor sie aus der Tür geht, sagt Allison noch: »Wenn du so weit bist, solltest du den armen Oliver erlösen. Tante Polly ist schon da und kaut ihm ein Ohr ab.«
Aber klar – Oliver. Hannah wusste doch, es gab einen Grund, warum sie selbst im Schlaf nicht zur Ruhe kam. »Ich bin gleich unten«, antwortet sie.
In Hannahs Mädchenzimmer gibt es kein Telefon mehr. Sie geht ins Schlafzimmer ihrer Mutter, nimmt den Hörer ab, stellt sich vor den Spiegel, der in die Tür des offenen Kleiderschranks eingelassen ist, und sieht sich dabei zu, wie sie in Pyjamahose und langärmligem T-Shirt
Hallo
sagt.
»Und was sagst du dazu, dass die göttliche Jennifer Lopez sich auf diesen beknackten Ben Affleck einlässt?«, fragt Elizabeth. »Wenn ich den sehe, würde ich ihm am liebsten dieses süffisante Grinsen aus dem Gesicht wischen.«
»Ich find die beiden ganz süß«, sagt Hannah.
|208| »Darrach und ich haben grad diesen Film ausgeliehen – den Titel hab ich schon vergessen, da siehst du mal, wie ich verblöde, Hannah. Deswegen ruf ich aber nicht an. Du solltest mal deinen Vater besuchen.«
»Lieber nicht«, antwortet Hannah.
»Wie lange ist es jetzt her? Fünf Jahre?«
»Ich habe ihn bei Allisons Hochzeit gesehen, vor knapp vier Jahren. Da habe ich auch
dich
das letzte Mal gesehen.« Es stimmt. Seit jenem Sommer bei Elizabeth und Darrach hat Hannah ihre Tante ganze zwei Mal gesehen: an einem Sonntag, als Hannah gerade auf die High School gekommen war und die Idee hatte, Elizabeth, Darrach und Rory gemeinsam mit ihrer Mutter zu treffen, in einem Restaurant auf halber Strecke zwischen Philadelphia und Pittsburgh; und dann ein paar Jahre später, als Elizabeth zum fünfzigsten Geburtstag von Hannahs Vater nach Philadelphia kam. Aber sie telefonieren alle zwei oder drei Monate, und Hannah denkt noch öfter an ihre Tante – häufig fallen ihr Dinge ein, die Elizabeth ihr erzählt hat, erste Erkenntnisse aus dem Leben von Erwachsenen –, nach Pittsburgh ist sie allerdings nie wieder gefahren. Sie ahnt, dass es an alte Wunden rühren würde.
»Jetzt hab dich nicht so«, sagt Elizabeth. »Seine Ex-Frau heiratet heute, und nach allem, was ich höre, ist ihr Neuer auch noch stinkreich, wenn du mir den Ausdruck erlaubst. Meinst du nicht, dein Vater könnte ein bisschen Zuspruch vertragen?«
»Wie geht’s Rory?«, fragt Hannah. »Arbeitet er immer noch in diesem Restaurant?«
»Versuch nicht, das Thema zu wechseln.«
»Genauso gut kann sich mein Dad bei mir melden. Warum soll ich auf ihn zugehen?«
»Hattest du ihm nicht strengstens untersagt, dich anzurufen?«
|209| Hannah schweigt. Ein paar Tage nachdem sie ihren Vater das letzte Mal zum Mittagessen getroffen hatte, leitete er ihr eine Postkarte ihres Zahnarztes weiter; die Aufforderung, einen Termin für die jährliche Vorsorgeuntersuchung zu vereinbaren, war versehentlich an seine Adresse geschickt worden. Auf der Rückseite des Umschlags, in den er die Karte gesteckt hatte, stand
Hab mich gefreut, dich letzte Woche zu sehen, Hannah
gekritzelt, und sie konnte nicht erkennen, ob es ironisch gemeint oder er einfach weltvergessen war. Auf Allisons Hochzeit hatte sie ihm zwar nicht komplett aus dem Weg gehen können, aber fast. Bis heute behauptet Allison, dass er sich immer nach ihr erkundigt, Hannah weiß nicht so recht, ob sie das glauben soll. Dass er die Gebühren für ihr letztes Studienjahr in Tufts auch später nicht übernahm, nicht einmal teilweise, schien ihr beredt genug – er hätte ja über ihren Kopf hinweg einfach einen Scheck schicken können. Ihre Entscheidung hat Hannah zwar nie bereut, aber sie ist immer noch verschuldet.
»Das ist keine Bitte«, sagt Elizabeth, »sondern eine ernsthafte Aufforderung. Geh deinen Vater besuchen! Gestehst du mir soviel Autorität zu?«
»Er und ich hatten uns noch nie viel zu sagen«, antwortet Hannah. »Vielleicht musste es zwangsläufig so kommen.«
»Ich sage ja nicht, dass du euer problematisches Verhältnis
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