Also lieb ich ihn - Roman
leugnen sollst. Aber trink einen Tee mit ihm, frag ihn nach seiner Arbeit. Schenk ihm das Gefühl, dass er nicht alles zerstört hat, was sein Leben wertvoll macht.«
»Hat er aber, in gewisser Weise«, sagt Hannah, halb reflexartig, halb aus Überzeugung. Ihr Zorn hat nachgelassen, er ist längst nicht mehr so heftig wie an jenem Mittag im Restaurant. Inzwischen ist es mehr ein Wissen als eine Empfindung, dass sie ihrem Vater böse ist. »Wenn ich ihn |210| besuche«, fährt sie fort, »erwartet er bestimmt, dass ich ihn um Verzeihung bitte.«
»Dann hat er eben Pech gehabt. Es ist ein Freundschaftsbesuch, du musst vor ihm nicht zu Kreuze kriechen.«
»Wie kommst du eigentlich darauf, dass es eine gute Idee ist?«
»Am liebsten würde ich antworten, dass du es nicht für ihn, sondern für dich tun sollst. Vielleicht geht es im Grunde um mich, tu es für mich. Das ist aber nicht das Entscheidende. Weißt du, was das Entscheidende ist?«
»Wohl kaum.« Hannah ist zum Fenster hinübergeschlendert, das zur Einfahrt blickt. Draußen fällt immer noch Schnee, und sie sieht ihre Mutter in einem wattierten rosa Bademantel und Stiefeln mit Tante Polly sprechen, die beiden gehen auf Pollys Volvo zu. Das heißt immerhin, dass Oliver den Klauen ihrer Tante entronnen ist.
»Entscheidend ist Folgendes: Er ist einsam«, sagt Elizabeth. »Und er ist dein Vater.«
In der Küche steht ein Korb mit Bagels und Muffins auf dem Tisch; Sam korrigiert gerade die Arbeiten seiner Schüler aus der Mittelstufe, während Allison Gabel und Messer in Stoffservietten eindreht und mit blauen Schleifchen zusammenbindet. Insgesamt kommen neunzehn Hochzeitsgäste, die Familie eingeschlossen. Die Zeremonie findet am Nachmittag um fünf statt. Als Hannah ihre Mutter gefragt hat, ob sie sich bis dahin vor Frank verstecken wolle – kein schwieriges Unterfangen, da Frank ein eigenes Haus hat –, kam als Antwort: »Ach Schätzchen, ich bin dreiundfünfzig. So was macht man vielleicht in deinem Alter.«
Während Hannah sich an den Tisch setzt, sagt Sam: »Hallo Dornröschen. Bist du verkatert oder was?«
»Wo ist Oliver?«, fragt sie.
|211| »Er hat sich Moms Auto geborgt, um was zu besorgen«, antwortet Allison. »In zwanzig Minuten will er wieder da sein.«
»Moment mal«, sagt Hannah. »Er fährt?« Oliver hat keinen Führerschein. Allisons erstauntem Blick weicht sie aus. An Sam gerichtet, sagt sie: »Ich bin nicht verkatert. Gestern Abend habe ich nicht einen Tropfen getrunken.«
»Schade eigentlich«, sagt Allison. »Der Champagner war bestimmt köstlich.« Sie ist im sechsten Monat schwanger und strahlender denn je.
»Wenn du schon mit ’nem Aussie zusammen bist, musst du dich ranhalten, Hannah«, meint Sam. »Kipp dir mal ordentlich einen hinter die Binde!«
»Oliver kommt aus Neuseeland«, antwortet Hannah. »Trotzdem: Danke für den Tipp.«
Als sie Sam grinsen sieht, fällt ihr ein, wie viel Energie sie damit vertan hat, ihn in Frage zu stellen. Ihr war einfach nicht klar gewesen, dass man von anderen nicht verlangen kann, ihre Liebe zu rechtfertigen, das hätte sie auch bei Allison niemals tun dürfen. Nicht etwa, weil die Beziehung zweier Menschen unantastbar ist (Hannahs Erfahrung nach gibt es in jeder Beziehung höchstens flüchtige Momente von Unantastbarkeit), sondern weil womöglich niemand voll und ganz für seine andere Hälfte einstehen kann, da er vielleicht – wahrscheinlich – selbst den einen oder anderen Zweifel hegt und jede Kritik von Dritten destabilisierend wirkt. Nicht unbedingt auf das Paar, aber auf die solchermaßen Befragte, die ihr Leben zu leben sucht, die richtige Wahl zu treffen hofft, ohne darüber je Gewissheit zu erlangen, wie wir alle. Inzwischen erscheint es ihr so naiv wie abscheulich, von Allison zu erwarten, dass sie Sam verteidigt. Früher stellte sich Hannah die Bindung zwischen zwei Menschen wesentlich stärker vor, so tief und vertraut, dass sie einander vollkommen sicher sein können.
|212| »Hast du die Karte für Mom und Frank unterschrieben?«, fragt Allison.
Hannah nickt und nimmt ein Sesambagel. »Weißt du, ob Dad in der Stadt ist?«
»Ja, wir haben ihn gestern besucht. Willst du etwa …« Allison verstummt, als wollte sie Hannah zu einer positiven Antwort ermutigen.
»Kann sein«, sagt Hannah. »Lass uns aber nicht drüber reden.«
Statt zwanzig kommt Oliver erst vierzig Minuten später zurück. Als Hannah das Auto vorfahren hört, schnappt sie sich ihren Mantel und
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