Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil
martialisch um den Hals gebunden, in der einen Hand hielt er eine nach oben aufgerichtete langstielige Rückenbürste, in der andern Hand einen Nagelzwicker, dessen Nagelfeile ausgeklappt war. Er sah jetzt tatsächlich wie ein König aus – mit Zepter und Schwert. Doch im Gesicht trug er den Stempel des Irrsinns.
Ich fragte ihn, ob er mit mir fernsehen wolle.
Er blickte mich nicht an und machte ein finsteres Gesicht, als sei er entschlossen, bis zum Äußersten zu gehen. Er halluzinierte, schaute ständig in die Dusche und fragte, was er mit »den anderen« machen solle.
Da er gleichzeitig mit der massiven Bürste und der Feile herumfuchtelte, war ich nicht sehr geistesgegenwärtig. Anstatt ihm die Angst zu nehmen, indem ich sagte, dass ich ihn beschützen und die anderen verjagen werde, versuchte ich ihn abzulenken. Ohne Erfolg. Er fühlte sich weiterhin bedroht und schaute reaktionsbereit mit eingezogenem Kopf nach links und nach rechts.
Als ich ihm die Bürste aus der Hand nehmen wollte, schlug er andeutungsweise nach mir. Ich erschrak und schnauzte ihn an:
»Spinnst du! Du bist doch ein gestandener Gemeindesekretär?! Und da führst du dich so auf?! Wer hat dir das beigebracht?! Deine Mutter bestimmt nicht! Und uns, deinen Kindern, hast du so etwas auch nicht beigebracht!«
Ich ließ einen gewaltigen Schwall auf ihn nieder, es kam einiges darin vor, von dem ich wusste, dass es für ihn Wert besitzt. Interessanterweise machte ihm die Predigt Eindruck. Er schaute verdutzt, als sei er beschämt, legte die Bürste von sich aus beiseite und willigte ein, als ich sagte, dass ich die Nagelfeile nehme. Jetzt war das Schlimmste überstanden. Ich zog ihm ein Hemd an und manövrierte ihn vor den Fernseher. Er gab sich entspannt, übertrieben heiter, zu Scherzen aufgelegt. – Maria lag unterdessen in ihrem Zimmer und weinte. Sie hatte sich eine Stunde lang mit ihm herumgeschlagen und sich mehrfach mit der Rückenbürste bedrohen lassen.
Ich rief Helga an, die sich sehr oft auf solch vorgeschobenem Posten aufzuhalten hatte. Ob sie kommen und sich um Maria kümmern könne. Ich selber verbrachte den Abend mit dem Vater, der nun erstmals aggressiv geworden war. Er war weiterhin fröhlich und betont freundlich, als wisse er, dass er mir Sorgen bereitet hatte, und als sei er gewillt, seinen Auftritt vergessen zu machen. Für diesmal hatte uns das Höllenfeuer nur angesengt.
Aber wie es weitergehen sollte, war mir in diesem Moment nicht klar. Aktionen wie diese konnte sich der Vater nicht oft leisten. Seine Betreuerinnen reagierten sehr empfindlich auf Eskalationen, und schließlich, er hatte sogarmir Angst gemacht, ich hatte Visionen gehabt von einem gewalttätigen Geisteskranken.
Das subjektive Empfinden des Vaters mochte gewesen sein: Was will diese Frau von mir? Duschen? Das ist bestimmt ein Trick! Ich werde mich nicht länger von einer mir fremden Person herumkommandieren lassen. Sie spricht nur gebrochen Deutsch, trotzdem nimmt sie sich heraus, mir Befehle zu erteilen und mich herumzuschubsen. Das ist verdächtig.
An die sowjetischen Krankenschwestern in dem Schuppen bei Bratislava hatte er nur ungern zurückgedacht. Statt Pflege hatte er Befehle bekommen. Vielleicht war von damals etwas hängengeblieben und jetzt für einen Moment hochgebrochen. Keine Ahnung. Es war auf alle Fälle ein sehr seltsamer Zufall, dass seine Betreuerinnen aus der Slowakei und einige direkt aus Bratislava zu ihm nach Wolfurt kamen.
An besagtem Abend schauten wir gemeinsam Verstehen Sie Spaß? Der Vater war interessiert, kommentierte lachend den Blödsinn , wie er es nannte, ich tippte Notizen über das, was passiert war, in den Laptop. Maria hatte ich den Abend freigegeben, damit sie sich erholen konnte. Heimwehkrank, wie sie war, gab sie die Stelle wenige Tage später auf.
Ich weiß nicht, ob es an diesem Abend war, dass in Verstehen Sie Spaß? eine Episode gezeigt wurde mit einem geschlossenen Lift in einem großen Hotel. Plötzlich ging im Lift das Licht aus, und als es nach einigen Sekunden wieder anging, fehlte ein junger Mann. Lediglich seine Taschelag verlassen am Boden. Die meisten Fahrgäste reagierten schockiert, eine Frau jedoch konnte sich vor Lachen nicht halten. Sie schüttete sich regelrecht aus.
Wenn mein Vater halluzinierte, war die Situation in seinem Kopf bestimmt ganz ähnlich, kurz ging das Licht aus, und plötzlich war die Situation eine andere. Unerklärlich!
Ein Gehirn, das ständig mit solchen
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