Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
Interessen, die uns zwingen, jetzt kein weiteres Aufsehen zu erregen. Es wird Gerechtigkeit walten, aber wir haben Geschäfte zu erledigen, die strategisches Denken erfordern. Jetzt ist nicht die Zeit für Aktionen auf der Straße!«
»Aber ich will den Mörder meines Vaters bestraft wissen«, fuhr Floto auf. »Und ich muss mein Erbe sichern. Da schnüffelt eine Amerikanerin herum, die stellt dumme Fragen, und ich werde ...«
Wieder unterbrach Finkel ihn jäh. »Verdammt, Kamerad! Ich befehle dir, im Sinne einer höheren Logik Ruhe zu bewahren und uns an einer Sache arbeiten zu lassen, die größer ist als das, was dir so vorschwebt. Und denke daran: Der Führer musste die SA zerschlagen, weil deren Mitglieder der Größe der Bewegung nicht gerecht wurden. Ich will nicht auf dich verzichten müssen!«
Floto sah Finkel verwundert an. »Warum solltest du, Kamerad?«, fragte er verwirrt. »Partei und Kameradschaft können auf mich zählen, das weißt du doch. Kann ich umgekehrt auch auf deine Hilfe bauen?«
»Kamerad, dessen sei gewiss.« Albert Finkel stand auf und legte Floto eine Hand auf die Schulter. »Ich möchte mich nur vergewissern, dass du nicht unbeabsichtigt übergeordnete Pläne störst. Wenn die Zeit gekommen ist, stehen wir alle in einer Kampflinie, Seite an Seite, Kamerad!«
Finkel klopfte Hermann Floto nochmals nachdrücklich auf die Schulter, dann verließ er das Büro und ging zum Ausgang. An der Tür reichte er Floto die Hand. Dieser erhob den Arm zum Hitlergruß, während Finkel zum Auto zurückging und einstieg. Als der Wagen vom Hof gerollt war, zog Floto sein Mobiltelefon aus der Tasche. Er tippte eine Kurzwahl. Als sich jemand meldete, sagte er: »Treffen in dreißig Minuten bei mir. Wir haben eine Jagd auf Mörderjuden vorzubereiten!«
Er ging ins Büro zurück und nahm einen Schluck Bier. Nachdenklich betrachtete er die zweite Flasche, die auf dem Tisch stand. Sie war noch so gut wie voll. »Verdammte Scheiße, was denkt der Finkel sich?«, stieß er ärgerlich hervor. Einer plötzlichen Gefühlsregung folgend, packte er die Flasche und schleuderte sie gegen die Wand. Das Glas zersprang, und Bierschaum zischte durch den Raum. Daraufhin fluchte er so laut, dass er nicht wahrnahm, wie sich eine Gestalt vorsichtig aus dem Dunkel eines Nebenzimmers löste und das Haus verließ.
Anna Floto schlüpfte unbemerkt auf die Straße und lief leichtfüßig davon. Hinter der nächsten Kreuzung hatte sie ihren Roller geparkt. Sie startete den Motor und fuhr los. Es begann zu regnen, doch das machte der jungen Frau nichts aus. Sie hatte keinen weiten Weg vor sich.
19. Kapitel
Bruno Gerster schaltete den Scheibenwischer ein. Die alten Wischblätter zogen Schlieren auf der Windschutzscheibe seines Wagens. Als der Regen dichter wurde und mehr Wasser reinigend über die Scheibe floss, verbesserte sich die Sicht. Der Kommissar sah auf die Uhr. Es war fast neun. Er hatte wieder viel zu lange im Büro gesessen und an überfälligen Berichten geschrieben. Doch zu Hause wartete niemand auf ihn. Er kramte in seiner Tasche und förderte einen Zettel hervor. Darauf hatte er eine Adresse notiert. Sie lag nicht auf dem Weg nach Hause, aber das war Gerster gleichgültig. Er fuhr durch das abendliche Düren. Im Dunklen und bei Regen sah die Stadt noch grauer und trostloser aus, als sie es ohnehin war. Der Kommissar durchquerte einen kleinen Kreisverkehr, vollmundig »Europaplatz« benannt, damit verließ er die City. Wenig später tauchte Niederau auf, er fuhr wie immer zu schnell und wurde am Seniorenhaus Marienkloster geblitzt. Er zeigte dem Starenkasten seinen Mittelfinger. Dann fuhr er durch Kreuzau, und wenig später öffnete sich die Landstraße endlich in Richtung Nideggen. Hier, wo links und rechts der Straße keine Häuser mehr standen, wirkte der Regen sofort freundlicher und das Dunkel der hereinbrechenden Nacht weniger bedrohlich. Die Straßen der Stadt rochen umso mehr nach Unrat und Verbrechen, je später der Abend wurde. Hier draußen erschien alles friedlicher. Gerster fuhr langsamer, ließ das Fenster herab und sog die regenfeuchte Landluft ein. Er dachte, dass man dies häufiger machen müsste. Einfach mal nach Dienstschluss rausfahren, der Fernseher vermisst mich nicht.
Kurz vor Nideggen bog er ab. Dort lag ein Neubaugebiet. Brachliegende Parzellen, Rohbauten und fertige Häuser wechselten sich ab. Vor einer allein stehenden großen Villa, deren geschmacklosen Stilmix Bruno Gerster im Dunkel nur
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