Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
von dem Mörder oder den Mördern überrascht, Gerster wird erschossen, vermutlich weil er seine Waffe zieht. Kellermann wird festgehalten und ein paar Stunden später auch erschossen. In diesen Stunden wird er zu irgendetwas befragt.«
»Oder der Mörder weiß nicht, was er mit ihm machen soll.«
Paul schüttelte den Kopf. »Wenn das so wäre, hätte er dann die Nerven, noch mehrere Stunden mit dem Mann in dem Haus zu bleiben, in dem er zuvor einen Polizisten erschossen hat?«
Rita zuckte mit den Schultern. »Wir wissen nicht, ob er diese Stunden in totaler Panik oder in eiskalter Berechnung verbracht hat.«
»Doch, mein Schatz«, widersprach Paul. »Er hat das Projektil aus der Wand entfernt, ohne selbst Spuren zu hinterlassen, hat den Kellermann gefesselt, ihn erschossen und das Ganze als Gersters Tat fingiert. Da war niemand in Panik.«
Rita lächelte. »Du bist gut. Ich sehe das genauso.«
»Und das Klebeband?«, fragte Paul. »Was war das für ein Zeug?«
»Handelsübliche Packware, wir haben eine passende Rolle im Haus gefunden.«
»Also nicht mitgebracht. Ein Indiz dafür, dass die Hinrichtung Kellermanns nicht unbedingt so geplant war.«
Rita legte eine Hand in Pauls Nacken und zog seinen Kopf ganz nah zu sich heran. »Das macht mich ganz wuschig, wenn du so scharfsinnig kombinierst«, hauchte sie und küsste ihn.
34. Kapitel
Einen wunderschönen guten Morgen!«
Ein sichtlich gut gelaunter Klaus Hardering empfing Pfarrer Friesdorf und Lorenz im Büro der Dombauverwaltung. Er umarmte den Pfarrer und gab Lorenz die Hand.
»Sie kennen sich schon länger?«, fragte Lorenz.
»Oh ja«, erklärte Friesdorf. »In meiner Kölner Domzeit habe ich sogar hier in diesem Haus gewohnt.«
»Werner, der Hausgeist«, schmunzelte Dr. Hardering. »Wir haben uns schon ziemlich lange nicht gesehen.«
»Stimmt, und glücklicherweise könnte Herr Bertold unsere Hilfe brauchen«, sagte der Pfarrer. »Ihr habt euch ja schon einmal getroffen, und diesmal wollte ich mit von der Partie sein.«
»Nun«, sagte Dr. Hardering und wies auf die Sitzgelegenheiten seines Büros. »Ich bin neugierig, wie ich diesmal helfen kann. Werner sagte mir am Telefon, es geht um die Geschichte der Juden? Da hat der Kölner Dom so einiges zu bieten.«
»Das hatte ich gehofft«, sagte Lorenz. »Ich möchte die regionale Geschichte der Juden besser verstehen, und es interessiert mich auch, wer sich sonst noch dafür interessiert.«
»Das hört sich spannend an«, meinte Dr. Hardering. »Werner hat mir vorab schon ein wenig davon erzählt, was Sie suchen. Zu diesem Thema fällt mir natürlich sofort das Judenprivileg ein.«
»Ich hörte davon. Was hat es damit genau auf sich?«
»Es handelt sich um eine Urkunde, die der Kölner Erzbischof Engelbert von Falkenburg im Jahre 1266 für die Kölner Juden ausstellte. Das Besondere an dieser Urkunde ist, dass sie eine zwei Meter hohe Sandsteintafel ist, die sich seit jeher im Kölner Dom befindet. Man bedenke, wir haben über 25.000 Urkunden in unseren Archiven, aber nur siebzehn sind in Stein gehauen.«
»Und was hat der gute Engelbert den Juden beurkundet?«
Hardering nahm ein Buch aus dem Regal und blätterte es auf. »Sehen Sie hier, wir haben vor drei Jahren ein Kölner Domblatt aufgelegt, das sich ausschließlich mit dem Verhältnis der Juden zum Kölner Dom beschäftigt. Hier haben wir’s.« Er tippte auf eine Seite, auf der die Fotografie einer Steintafel abgebildet war. Diese trug einen mit gotischer Majuskelschrift ausgeführten lateinischen Text. Klaus Hardering erklärte: »Der Inhalt in aller Kürze: Die Juden stehen unter dem Schutz Engelberts, sie müssen keine höheren Abgaben zahlen als Christen, sie haben das Monopol auf den Geldhandel, da sie die meisten anderen Gewerbe nicht betreiben dürfen. Christliche Betreiber von Kreditgeschäften, die sogenannten Kawertschen oder lateinisch Cauvercini, dürfen sich in Köln nicht niederlassen. Zudem wird den Juden zugesagt, dass ihre Friedhöfe unbehelligt bleiben und sie ihre Toten dort ohne Zahlung eines Leichenzolls beerdigen dürfen. Es wird insbesondere untersagt, auf dem Judenfriedhof oder in direkter Nachbarschaft Hinrichtungen durchzuführen, was man perfiderweise genau dort gerne tat.«
»Ekelhaft«, meinte Lorenz. »Das Schänden unserer Judenfriedhöfe hat also eine lange Tradition.«
»Leider ja, und selbst diese öffentlich aufgestellte Urkunde hat die Juden nicht schützen können. Es ist einer von elf Schutzbriefen,
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