Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
gegen die Juden, die nötig wurde durch deren skrupellose Profitgier. Eine natürliche Abneigung der Christenmenschen sah Rodens durch den Umstand gegeben, dass die Juden den Kreuzestod Christi verschuldet hätten – beides zentrale Themen des Antisemitismus.«
»Gab es da nicht auch kürzlich einen Artikel, der das Judenprivileg gänzlich als judenfreundliche Fälschung zu entlarven suchte?«
»Genau. Das ist nun ein aktuelles Beispiel für antisemitische Umdeutungen des historischen Materials.« Dr. Hardering suchte in einem Stoß Notizen und Kopien herum. »Hier ist es. Eine Sammlung historischer Interpretationen, herausgegeben von einem Dr. Korger. Dumm, den Autor des Artikels kann man hieraus nicht ersehen, da fehlt ein Stück. Aber hier wird so argumentiert: Das Judenprivileg muss eine Fälschung sein, da es in viel zu gutem Zustand sei, um so die vielen Jahrhunderte mit all den Judenpogromen überdauert zu haben. Als weiteres Indiz wird das rätselhafte Foto von 1928 angeführt. Der einfache Gedanke ist, wenn es mehrere voneinander abweichende Exemplare gibt, dann kann man kaum von einem Original sprechen. Die Schlussfolgerung ist, dass es das Judenprivileg in dieser Form gar nicht gegeben habe, vielmehr beweise die Geschichte, dass die Juden von keiner Seite wohl gelitten waren. Hier wird wiederum als Indiz angeführt, dass nach der endgültigen Zerschlagung der jüdischen Gemeinde in Köln das Vermögen an den Erzbischof ging.«
»Kann man denn so etwas einfach behaupten?«, fragte Lorenz.
»Der Artikel ist sicher eher der pseudowissenschaftlichen Sorte zuzurechnen, jedoch Verlag und Herausgeber sind seriös. Man kann zu diesem Artikel höchstens eine Entgegnung schreiben.«
Pfarrer Friesdorf fügte hinzu: »Und es gibt ja auch einige heiß diskutierte antisemitische Darstellungen im Dom, die das antisemitische Gedankengut bei genügend unreflektierter Betrachtung durchaus fördern können.«
»Beispielsweise die sogenannten Judensau-Darstellungen?«, fragte Lorenz.
»Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht«, grinste Hardering. »In der Tat gibt es einige antisemitische Darstellungen in unserem Dom, die einer Betrachtung wert sind. Das können wir uns gerne anschauen, wenn Sie Interesse haben.«
»Und ob ich das habe«, meinte Lorenz. »Außerdem ist es im Dom bestimmt angenehm kühl, darauf freue ich mich schon.«
»Ja, dann lassen Sie uns doch das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden.« Hardering stand auf. »Gehen wir rüber!«
Die drei benötigten nur wenige Minuten, um den Roncalliplatz zu überqueren und in den Dom einzutreten, bis sie an dem hohen Gitter standen, welches dem Besucherstrom den Zugang zum Binnenchor versperrte. Klaus Hardering öffnete die Tür und ließ seine Begleiter eintreten. Sie gingen zu dem Chorgestühl, welches sich in zwei gegenüberliegenden Reihen hinter dem Hauptaltar erstreckte. Hardering erläuterte: »Dieses Chorgestühl ist um 1310 entstanden und mit seinen 104 Sitzen eines der größten erhaltenen seiner Art. Die Abbildungen um die berüchtigte Judensau sind hinten an den Wangen des Nordeingangs zum Chorgestühl enthalten.« Hardering blieb an dem Treppenabsatz stehen und zeigte Lorenz die Holzschnitzereien. »Das linke Bild zeigt zwei Juden, erkennbar an ihren spitz zulaufenden Mützen, wie sie ein Schwein halten und füttern, ein dritter Jude trinkt an den Zitzen der Sau. Das ist natürlich eine extrem beleidigende Darstellung, zudem den Juden das Schwein als unrein gilt. Hier verbindet sich ein plumper Antisemitismus mit der Darstellung des Lasters der Gula, der Unmäßigkeit. Die Darstellungen des ganzen Chorgestühls haben das Thema Laster und Tugenden, hier müssen die Juden zur Darstellung eines Lasters herhalten. Rechts daneben wird’s im Grunde noch schlimmer. Hier wird ein Jude gezeigt, der ein Fass mit einer Sau und drei Ferkeln auskippt. Das geht auf eine Sage zurück, nach der Jesus eine jüdische Mutter und ihre Kinder in eine Sau und Ferkel verwandelt haben soll, was als Grund dafür angesehen wird, dass die Juden seitdem kein Schweinefleisch mehr essen. Daneben ein weiterer Jude, der einen christlichen Knaben an der Hand führt. Damit ist der heilig gesprochene Werner aus Oberwesel gemeint, der 1287 einem angeblich durch Juden verübten Ritualmord zum Opfer fiel. Dieser Vorfall war Anlass für zahlreiche Pogrome am Mittelrhein. So ist der Namenspatron unseres lieben Werner Friesdorf zu einem eher unrühmlichen Heiligen geworden.«
Der
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