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Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]

Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]

Titel: Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: KBV Verlags- und Mediengesellschaft
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nicht nötig«, versetzte Kalle. »Das war ich. Dieser Nazi hatte es verdient. Und offenbar hatte er Angst vor den eigenen Leuten, denn er hielt mich für einen Nazischläger. Und er faselte etwas vom Stadtrat und einer ominösen Stiftung.«
    Eine tiefe Furche entstand zwischen den Augen des alten Kratz. »Junger Mann, ich höre deine Worte wohl, aber verstehen kann ich dich nicht. Warum prügelst du einen Mann krankenhausreif, den du gar nicht kennst?«
    Kalle richtete sich hoch auf. »Ich bin dem Schwur von Buchenwald verpflichtet. Die Nazimörder und alle, die ihnen unter dem Hakenkreuz heute noch folgen, müssen vernichtet werden.«
    Jakob schüttelte den Kopf. »Mein Junge, ich kenne diesen Schwur etwas anders. Wenn ich mich recht erinnere, war die Rede davon, die Verbrecher vor Gericht zu bringen. Aber davon abgesehen, ich habe Theresienstadt, Treblinka und Sobibór überlebt, aber der Schwur von Buchenwald ist mir deswegen nicht Befehl zur Gewalt. Warum dir?«
    Kalle antwortete nicht.
    Jakob wandte sich ab und ging zum Eingang des Friedhofs. Er trat durch das Eisentor und ging langsam zwischen den Grabsteinen hindurch. Die anderen blieben außerhalb stehen und warteten schweigend. Jakob verweilte nicht lange auf dem Friedhof. Auf einem Grabmal legte er einen Gedenkstein ab, dann verließ er das Gelände wieder. »Ist das nicht schön hier oben?«, sagte er, als er die anderen erreicht hatte. »Ich bin an sich kein Freund von Friedhöfen. Die Toten sollen ungestört ruhen.«
    »Dann haben wir ja doch was gemeinsam«, meinte Kalle.
    Jakob antwortete: »Wenn ihr Interesse daran habt, will ich euch gerne einmal etwas von mir erzählen. Wenn du dann immer noch glaubst, wir hätten etwas gemeinsam, bin ich gespannt darauf.«
    »Wir hören Ihnen sehr gerne zu, Herr Kratz«, sagte Bärbel.
    »Nun denn, vielleicht sind hier Ort und Zeit richtig gewählt«, begann Jakob. »Ich wurde 1922 in Nideggen geboren. Meine Mutter kam aus Köln, mein Vater aus Nideggen, genau wie mein Großvater und mein Urgroßvater. Mein Onkel betrieb dort einen Pferdehandel. Wir waren nur wenige jüdische Familien in Nideggen, zur Synagoge gingen wir nach Drove. Dort lernte ich Wilhelm Floto kennen. Als er sie anzündete. November 1938 war das. Er kam mit ein paar Schlägern aus Düren. Die Leute aus dem Ort haben sich bis auf wenige Ausnahmen nicht beteiligt. Aber verhindert hat man es auch nicht, wie so vieles. Ich war zufällig da, habe mit angesehen, wie man den schönen Bau zerstört hat, bis mich mein Onkel wegzog und nach Hause brachte.«
    Jakob hielt inne, schaute über das offene Feld und sammelte seine Erinnerungen.
    »Ich will euch nicht mit Details langweilen. Ab 1940 wurden Juden aus dem ganzen Kreisgebiet aus ihren Häusern vertrieben und in Sammelstellen zusammengepfercht. In der Gerstenmühle in Düren oder in der Lendersdorfer Thuirs Mühle. Meine Mutter, meine Schwester und ich wurden im Haus Schwarz hier in Embken untergebracht. Dann ging es über Jülich-Kirchberg nach Theresienstadt. Ich erspare euch und mir die Einzelheiten. Schon die Zeit in Nideggen nach der Pogromnacht Achtunddreißig war uns schrecklich erschienen. Da lernte ich, was Angst ist und Erniedrigung. Und in Theresienstadt, da war ich schon zwanzig, lernte ich zu hassen. Meine Familie starb dort, an Hunger, Kälte, Angst und Enttäuschung. Ich war zu aufsässig für das Vorzeige-KZ, kam nach Treblinka. Dort nahm ich an einem Aufstand teil, der jedoch misslang. Ich wurde beinahe totgeschlagen, überlebte aber – wie Hohn des Schicksals erschien es mir damals. Dann brachte man mich nach Sobibór, wo ich endgültig sterben sollte. Auch dort gab es einen Aufstand, und mit wenigen – viel zu wenigen – Kameraden konnte ich tatsächlich entkommen. Das war im Herbst Dreiundvierzig. Ich fand Schutz bei einer polnischen Partisanengruppe. Bis zum Ende des Krieges sprengten wir Nazis in die Luft. Wie oft ich dabei fast gestorben wäre, bei diesen selbst gebastelten Bomben mit minderwertigen Zündern –, ich weiß es nicht. Jedenfalls habe ich überlebt. Als Einziger meiner Familie. Ich habe hier gesucht, niemanden gefunden, auch meine Heimat nicht mehr wiedergefunden. Ich ging nach Amerika. Und hier bin ich nun wieder.«
    Nachdem Jakob geendet hatte, sprach niemand. Nach einiger Zeit war es Jakob selbst, der das Schweigen brach. Er zeigte auf Bärbels Wasserflasche. »Kinder, ich habe nichts zu trinken dabei und einen unverschämt trockenen Hals. Darf ich einen

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