Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
Schluck?«
Bärbel reichte ihm die Flasche. »Natürlich.«
Jakob bedankte sich und trank.
Dann fragte Benny: »Entschuldigung, darf ich eine Frage stellen?«
»Aber ja doch, mein Junge.«
»Ich habe gehört, dass Ihr zweiter Vorname Israel lautet. Opa Bertold erzählte mir, das sei ein Namenszusatz, den die Nazis allen Juden damals zwangsweise gegeben haben. Warum haben Sie diesen Namen behalten?«
Jakob nickte und lächelte leise. Dann knöpfte er sein Hemd auf und zeigte Benny seine Brust, die von Narben übersät war. »Siehst du das? Alles Geschenke von Nazis. Die trage ich mit mir herum, bis ich sterbe, ob ich will oder nicht. Mit diesem Namen ist es genauso. Ich könnte ihn natürlich streichen lassen, aber warum? ›Israel‹ bedeutet ›Gott streitet für uns‹ oder auch ›Gott herrscht‹. Ist doch ein guter Name, oder? Ich trage alles, was die Nazis mir angetan haben, mit so viel Würde, wie mir möglich ist, so also auch diesen Namen.«
»Das ist mutig«, meinte Lorenz.
»Oder verrückt«, versetzte Jakob. »Als ich mich dazu entschied, war ich verbittert, hasserfüllt und trotzig. Jetzt bin ich nur noch ein etwas seltsamer alter Mann mit einer Sammlung alter Narben.«
»Und warum sind Sie jetzt wieder hier?«, fragte Lorenz. »Haben Sie die Eifel trotz all der schrecklichen Erlebnisse wieder als Heimat entdeckt?«
Jakob wiegte nachdenklich seinen Kopf. »Ich hoffe, dass ich hier, wo ich geboren bin, auch werde sterben können.«
Lorenz bohrte weiter: »Sie werden es mir hoffentlich nicht als gefühl- oder respektlos übel nehmen, aber das kann ich ehrlich gesagt nicht glauben. Sie sind doch von dieser Amerikanerin vorgeschickt worden, um hier ein Netzwerk von Nazis auszuheben, nicht wahr?«
»Lorenz!«, rief Bärbel aus.
»Nicht doch, lassen Sie ihn nur«, beschwichtigte Jakob. »Das Leben ist zu kurz für Halbwahrheiten. Es stimmt schon, dass Lisa Wilke mich angesprochen hat. Sie hat gezielt nach Überlebenden des Holocaust gesucht, die als Geburtsort Nideggen angegeben haben, weil ihre Ermittlungen sie dorthin führten und sie Unterstützung benötigte. Sie fand nur mich. Und dass ich hier sterben will, ist – sagen wir einmal – ein Wunsch nach dem Wunsch. Tatsächlich bin ich mir nicht sicher, ob ich dies wirklich will.«
»Das kann ich sehr gut verstehen«, sagte Anna, die die ganze Zeit stumm dagestanden hatte. »Und ich würde Sie gerne um Verzeihung bitten für das, was mein Großvater Ihnen angetan hat. Er war ein schlechter Mensch, bis zuletzt. Aber nicht alle Deutschen denken so wie meine Familie, wissen Sie.«
»Natürlich weiß ich das«, sagte Jakob und lächelte. »Ich bin selbst Deutscher.«
Anna nickte wortlos, eine leichte Röte überzog ihre Wangen.
Lorenz nahm den Gesprächsfaden wieder auf. »Aber noch mal zu dem alten Floto. Wer hat ihn denn nun auf dem Gewissen? Und warum diese Zeichen MT auf seiner Stirn?«
Jakob antwortete: »Wir wissen nicht, wer Wilhelm Floto ermordet hat. Jedenfalls war es kein Jude. Das MT sollte wohl auf das hebräische ›Meth‹ hinweisen, was Tod bedeutet. Das ist ein Hinweis auf die Geschichte des Golem.«
»Was bedeutet das?«, fragte Bärbel.
»Nun, es gibt eine Sage, nach der Rabbi Löw in Prag ein Geschöpf aus Lehm mithilfe uralter kabbalistischer Formeln zum Leben erweckt haben soll. Auf seine Stirn schrieb er ›Emeth‹, was so viel wie ›Wahrheit‹ bedeutet und den Golem erweckte. Wischte man das erste Zeichen fort, so blieb ›Meth‹ übrig, dies ließ den Golem wieder zu einer unbelebten Lehmfigur werden. Jedoch würde ein Jude vermutlich die hebräischen Zeichen verwenden und keineswegs lateinische Buchstaben. Und außerdem wurde der Golem als Beschützer der Juden geschaffen und nicht als ihr Feind, wie Floto es war. Das ergibt also alles keinen Sinn.«
»Also vielleicht jemand, der sich ein bisschen was angelesen hat, ohne wirklich etwas davon zu verstehen«, grübelte Lorenz.
»Und der ermordete Stadtrat Kellermann. Kannten Sie den? Wie hängt der in der Sache drin? Und warum musste er sterben?«
»Ich weiß es wirklich nicht«, antwortete Jakob. »Er hat sich, so viel ist sicher, genauso an ehemals jüdischen Immobilien bereichert wie Floto. Aber dies gibt kein Motiv für einen Mord ab. Und das gilt erst recht für den getöteten Polizisten. Mit dem hatte ich kurz gesprochen, er wusste gar nichts.«
»Und dieser Dr. Korger? Kennen Sie den?«
Jakob schüttelte den Kopf. »Sollte ich?«
»Dann haben wir also
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