Alterra: Der Herr des Nebels: Roman (German Edition)
für das Herz der Erde. Die Großen wussten nur eines: Ambre war dessen Hüterin.
Nach ihrem überwältigenden Auftritt bei der Großen Schlacht und ihrer Rede vor der Armee der Zyniks sahen manche Erwachsene in dem Mädchen eine Art Messias. Für andere, oft Anhänger des Unschuldstrinkers, war sie hingegen eine Manipulatorin, die ihre Alteration nutzte, um sie zu täuschen. Und Tausende von Erwachsenen, die keinem der beiden Lager angehörten, fragten sich, warum sie nach der flammenden Rede des seltsamen Mädchens die Waffen niedergelegt hatten, ohne eine Erklärung dafür zu finden.
»Ganz einfach: Ambre ist das Herz der Erde«, antwortete Maylis.
»Es handelt sich nicht um irgendein Geheimnis«, ergänzte Zelie. »Das Herz der Erde ist nur eine unerschöpfliche Energiequelle. An dem Tag, als der Krieg endete, haben Sie seine Kraft doch selbst gespürt. Es ist die Energie des Planeten.«
»Eben! Es erscheint uns mehr und mehr ungerecht und … gefährlich, dass nur ihr darüber verfügt.«
»Gefährlich?«, wiederholte Maylis.
»Ja. Das Herz der Erde ist wie eine Atombombe! Wenn ein einziger Staat darüber verfügt, kann er alle anderen beherrschen! Die Welt ist dem unterworfen, der die Bombe besitzt. Wenn allerdings alle Länder darüber verfügen, gibt es keine Diktatur der Angst mehr, nur noch ein abschreckendes Gleichgewicht, das einen einseitigen Machtmissbrauch verhindert!«
»Ambre ist keine Atombombe«, erwiderte Zelie.
»Aber ihre Energie ist von derselben Größenordnung. Die Kräfte sind nicht gerecht verteilt. Wir fordern, dass ihr uns das Ergebnis eurer Arbeiten zur Verfügung stellt und dass ihr unseren Forschern erlaubt, das Herz der Erde zu untersuchen.«
»Es untersuchen?«, rief Zelie empört. »Soll das ein Witz sein?«
»Eine so mächtige Frau muss dem Wohl der Gemeinschaft dienen. Aber macht euch keine Sorgen, wir haben nicht vor, ihr weh zu tun!«
Die Antwort von Maylis war kategorisch:
»Das kommt nicht in Frage. Ambre ist kein wissenschaftliches Objekt. Sie hat ihr Leben und macht damit, was sie will! Niemand wird sie untersuchen! Weder Sie noch wir!«
Der Unschuldstrinker wirkte aufrichtig verblüfft:
»Wie bitte? Wollt ihr damit sagen, dass ihr gar nicht versucht, mehr darüber in Erfahrung zu bringen?«
»Herr Botschafter«, antwortete Zelie mit Nachdruck, »wir können Ihnen versichern, dass wir Ihnen alle wichtigen Informationen mitteilen, sofern sie dem Interesse unserer beider Länder dienen. Aber was Ambre und das Herz der Erde betrifft, sage ich Ihnen ohne Umschweife: Sie werden es niemals in die Hände bekommen.«
»Ihr bringt mich, diplomatisch gesehen, in eine sehr missliche Lage dem König gegenüber, ich –«
»Sparen Sie sich das Gerede«, unterbrach ihn Maylis. »Diese Diskussion ist beendet. Gab es noch etwas, das Sie mit uns besprechen wollten?«
Der Unschuldstrinker presste die Lippen so fest zusammen, dass sie weiß wie sein Schnurrbart wurden.
Dann fasste er sich wieder:
»In der Tat. Ich muss verreisen. König Balthazar hat mich gebeten, wegen einiger Geschäfte nach Babylon zu kommen. Das Ganze wird nur wenige Tage in Anspruch nehmen, da ich mit einem Riesenschmetterling fliege. Ich werde euch also die Schlüssel des Hauses überlassen, um es einmal so zu sagen.«
»Sie dürfen gehen, wohin Sie wollen«, antwortete Zelie.
»Sollten in meiner Abwesenheit dringende Probleme auftreten, steht euch mein Assistent Grimm jederzeit zur Verfügung.«
»Wann brechen Sie auf?«
»Morgen. Gewiss wird der König sicherlich eure mangelnde Kooperationsbereitschaft im Hinblick auf das Herz der Erde bedauern, aber ihr könnt euch auf mich verlassen. Ich werde ihm die Lage in eurem Sinne schildern.«
Zelie und Maylis ließen sich von seinen schönen Worten nicht täuschen. Sie dankten ihm mit einem aufgesetzten Lächeln.
»›Ihr könnt euch auf mich verlassen. Ich werde ihm die Lage in eurem Sinne schildern!‹«, ahmte Maylis den Unschuldstrinker mit verstellter Stimme nach.
»Ganz schön dreist!«, empörte sich Zelie.
»Ich kann ihn nicht leiden! Er hält uns wirklich für bescheuert. Ich bin sicher, dass Balthazar mehr Verständnis für unsere Sicht hat als er.«
»Sofern er die richtigen Informationen erhält.«
»Wie meinst du das?«
»Seit ich in seinen Gemächern war, frage ich mich, wie weit er sein Spielchen wohl treibt. Könnte es nicht sein, dass er König Balthazar genauso manipuliert wie uns?«
»Was sollte er damit bezwecken? Der
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