Alterra - Der Krieg der Kinder: Roman (German Edition)
schon ganz rot. Du kannst dich ja kaum noch aufrecht halten.«
Am nächsten Morgen glitt die Dschunke durch eine Hügellandschaft. Der Blinde Wald war nur noch ein ferner schwarzer Streifen am nördlichen Horizont. Sie hatten es geschafft.
Kurz nach Mittag jagte ihnen die Rauchsäule eines Feuers einen Heidenschrecken ein. Sie breiteten eine große Plane an Deck aus, unter der sie sich alle versteckten. Nur Horace blieb am Bug stehen, und Ben hielt weiter das Steuer, das Gesicht unter seiner Kapuze verborgen.
Sie kamen zu einem großen Steinhaus. Matt, der neben seinen Freunden unter der Plane lag, hörte Horace zwischen den Zähnen murmeln:
»Das ist eine Herberge. Die Straße und der Fluss laufen hier zusammen. Ich sehe einen Steg mit zwei Fischern. Wenn ich ›Gleich gibt’s Ärger‹ sage, dann zieht eure Waffen und kommt sofort aus der Deckung! Ansonsten rührt ihr euch nicht und gebt keinen Mucks von euch!«
Die Fischer riefen der Dschunke etwas zu. Horace erwiderte den Gruß mit seiner Erwachsenenstimme.
»Die Armee mobilisiert sich in Babylon!«, verkündete einer der Fischer.
»Wir bringen ihnen Bärenfelle!«, meinte Horace.
»Gerade ist eine Gruppe Soldaten hier abgestiegen. Sie ziehen nach Babylon, falls ihr euch den Weg ersparen wollt.«
»Wir müssen die Ware persönlich abliefern, die Felle sind für einen Vertrauten der Königin bestimmt.«
»Die Erlösung naht! Die Königin wird uns leiten!«, sagte der zweite Fischer.
Der andere fügte entschuldigend hinzu:
»Mein Kumpel und ich können nicht in die Schlacht ziehen, wegen unserer Beine, die sind ganz verkrümmt! Aber wir sind in Gedanken bei euch! Könnt ihr die Soldaten vielleicht auf dem Schiff mitnehmen?«
»Wir sind auch so schon überladen!«
»Na dann, gute Fahrt!«
Horace hob zum Abschied die Hand und seufzte erleichtert auf.
»Alles klar«, flüsterte er, »wir sind durch.«
Als Matt aus seinem Versteck kroch, wurde ihm klar, dass sie bei einer Routine-Inspektion sofort auffliegen würden. Es gab einfach nicht genug Schlupfwinkel an Bord für sieben Riesenhunde und die Pans. Die Zyniks würden sie sofort verhaften.
Zwei Tage lang fuhren sie unbehelligt den Fluss hinab, dessen Wasser immer grüner wurde, je südlicher sie kamen.
Ambre hatte die ersten achtundvierzig Stunden ihrer Reise mit kleinen Unterbrechungen durchgeschlafen und war wieder in Topform.
Seither trainierte sie ihre Alteration, indem sie ihre Aufmerksamkeit auf kleine Gegenstände an Deck konzentrierte und dabei nur vorsichtig aus der Energie der Käfer schöpfte. Anfangs hatte sie mehrere Scheuerbürsten, Messer und Küchenwerkzeuge über Bord geschleudert, doch mittlerweile gelang es ihr schon ganz gut, den Kraftüberschuss in Gegenwart der Käfer zu dosieren.
Neil hatte sich auf eine Taurolle gesetzt, um ihr zuzusehen. Er lächelte sanft, als wolle er Frieden mit ihr schließen.
»Gibst du ihnen nie zu fressen?«, fragte er.
»Nein. Am Anfang habe ich ihnen Blätter, Brotstücke und sogar Regenwürmer reingelegt, aber sie rühren nichts an. Sie trinken und fressen nie.«
»Wie können sie dann überleben?«
»Ich denke, dass sie nur eine Hülle sind, eine Art Auffangbecken für die Energie, die ihnen Lebenskraft gibt.«
»Und diese Energie, woher kommt die?«
»Es ist dieselbe, die wir auch für unsere Alteration benutzen. Ich nehme an, dass es sich um eine Art Strom handelt, der alle Dinge im Universum verbindet.«
»Ah, davon habe ich schon mal was gehört. Die dunkle Materie! Das sind Partikel, die es überall gibt, sogar in dem, was man die Leere nennt, im Weltall.«
»Dann ist die Energie dieser Insekten vielleicht ein Konzentrat von dunkler Materie. Das würde die Hypothese von einer zornigen Erde stärken.«
»Das ist deine Erklärung für den Sturm?«
»Genau. Eine Art gigantische chemisch-physikalische Reaktion auf unsere Exzesse, auf die Ausbeutung der Ressourcen unseres Planeten, auf unsere ganze Verschmutzung, die ihn zerstört hat. Die dunkle Materie hat demnach wie ein Antikörper reagiert und die Welt auf den Kopf gestellt. Und damit auch uns.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Materie entscheidet, wer überlebt und wer sich in Luft auflöst!«
»Sie hat es sicher nicht bewusst entschieden. Die dunkle Materie wird vermutlich nur durch ein einziges Leitprinzip geprägt: das Leben verbreiten und im Gleichgewicht halten. Dieses Gleichgewicht hat sie nun wiederhergestellt und dafür gesorgt, dass das Leben sich weiter
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