Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
Vom Netzwerk:
erinnern, wie die Strömung um die Insel verlief. Die Strecke um die Leeseite war länger, aber wenn sie den kürzeren Weg nahm, würde sie riskieren, gegen die Felsen geschleudert zu werden. Um diese Jahreszeit konnten immer unvorhergesehene Windböen aufkommen, also blieb nur die Fahrt an der vom Wind abgewandten Seite der Insel übrig, ob es ihr nun gefiel oder nicht.
    Zuerst kam Marrah relativ mühelos vorwärts, doch als sie die Spitze umrundete, wurde die Strömung stärker. Sie ruderte mit aller Kraft, tauchte das Paddel ins Wasser und zog es so hart zurück, daß sich die Muskeln in ihren Armen verspannten und sie den Atem in ihrer Brust brennen fühlte. Auf der dem Meer zugewandten Seite mußte sie kämpfen, um nicht gegen die Klippen geworfen zu werden, aber sie hielt durch und paddelte angestrengt weiter. Schließlich, nach einer Zeitspanne, die ihr wie eine Ewigkeit erschien, kam der Strand in Sicht, und mit zehn weiteren kräftigen Ruderschlägen war sie am Ufer, und der Boden des Einbaums schabte über Steine.
    Sie sprang aus dem Boot und zog es in Sicherheit. Der alte Mann lag immer noch so da, wie sie ihn zurückgelassen hatte, atmete noch immer, doch seine Lippen hatten sich blau verfärbt, und sein Körper war eiskalt. Marrah schlang die Arme um ihn und versuchte ihn hochzuheben, aber er war zu schwer. Sie mühte sich ab, keuchend und schwitzend, schaffte es jedoch nicht, ihn mehr als ein paar Zentimeter von der Stelle zu bewegen.
    Frustriert hockte sie sich hin und überlegte, wie sie ihn zum Boot hinunterschaffen sollte. Sein nasser Umhang allein mußte schon so viel wie ein kleiner Hund wiegen, ganz zu schweigen von all den anderen Sachen, die er trug. Eines stand auf jeden Fall fest: Er stammte aus keinem der Küstendörfer. Niemand, der am Meer der Grauen Wogen geboren war, würde in einem solchen Aufzug in ein Boot steigen. Bei den schweren Kleidern, dem hinderlichen Schmuck und den Waffen, die er trug, war es ein Wunder, daß er nicht ertrunken war. Sie würde sein Gewicht etwas verringern müssen.
    Vorsichtig löste sie seinen Gürtel, nahm ihm das Messer und den Köcher ab und band seinen Umhang auf. Dann schlang sie ihm von hinten die Arme unter die Achseln, zog ihn in eine sitzende Haltung und schleifte ihn über die Felsen zum Boot, während sie sich jedesmal stumm bei ihm entschuldigte, wenn sie einen Moment innehielt, um wieder zu Atem zu kommen. Zum Glück bewahrten ihn seine schwere Tunika und die Beinlinge vor Schürfwunden durch die spitzen Felsen, aber bis sie ihn endlich zum Rand des Wassers gezogen hatte, war das merkwürdige Material, aus dem seine Kleidung bestand, zerrissen.
    Keuchend schob sie seinen Oberkörper über den Bootsrand, dann stemmte sie sich mit Kopf und Händen gegen sein Hinterteil und schob ihn kurzerhand hinein. Er fiel mit einem unsanften Plumps und einem Stöhnen auf den Boden des Einbaums. Hastig kletterte Marrah nach ihm hinein und drehte ihn vorsichtshalber auf die Seite, falls er weiteres Meerwasser erbrach. Das Stöhnen war ermutigend gewesen. Es war der erste Laut, den er von sich gegeben hatte.
    »Tut mir aufrichtig leid«, sagte sie, nachdem sie noch einmal zurückgegangen war, um seine Sachen zu holen. »Normalerweise laufe ich nicht durch die Gegend und werfe mit kranken Leuten wie mit Fischkörben um mich, aber du kannst ja selbst sehen, daß ich keine andere Wahl hatte. Nein, du kannst nicht sehen, nicht wahr? Aber vielleicht kannst du mich hören. Wenn du es kannst, dann blinzle doch bitte kurz oder bewege eine Hand oder tu sonst irgend etwas, um mir zu zeigen, daß du mich hörst.« Doch der Fremde bewegte sich nicht, sondern lag nur reglos auf dem Boden des Einbaums und nahm den größten Teil des Platzes ein.
    Marrah schob ihn in den Bug, kniete sich neben ihn und begann, um die Insel zu paddeln, während sie weiter auf ihn einredete. Daß er sie nicht hören konnte, störte sie nicht. Es war einfach tröstlich, mit jemandem zu reden. »Ich bringe dich jetzt in mein Dorf zurück. Es heißt Xori. Hast du schon einmal davon gehört? Es ist nicht sehr groß, aber wir haben ein Standbild der Göttin und einen guten Brunnen mit frischem Wasser, und wir sind vor dem Wind geschützt. In den Langhäusern ist es warm. Mein Bruder Arang und ich haben Tante Zuriska erst im letzten Herbst geholfen, das Dach neu zu decken. Du wirst heute nacht in einem trockenen Bett schlafen und etwas Warmes zu essen bekommen. Ich selbst koche nicht oft, weil ich die

Weitere Kostenlose Bücher