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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden versuchte. Die kurze, borstige Mähne ihres Pferdes erstreckte sich vor ihren Augen wie ein steil ansteigender Pfad, kräuselte sich ein wenig bei jedem Schritt, den das Tier machte. Als Marrah erneut aufschaute, merkte sie, daß die Zeit abgelaufen war – sie hatten bereits den Rand von Zuhans Lager erreicht, und die ersten Zelte waren nur noch wenige hundert Schritte entfernt.
    Das Lager war viel kleiner, als sie ursprünglich angenommen hatte – so viel kleiner, daß sie überrascht blinzelte und ein zweites Mal hinschaute. Sie hatte erwartet, Hunderte von Zelten zu sehen, aber es waren nur ungefähr vierzig, an den Ufern eines kleinen Flusses errichtet, der sich wie ein schmales Band über kupferfarbene Steine dahinschlängelte. Wie immer war der Himmel über ihnen faszinierend – so tiefblau wie ein Ballen gefärbtes Shambah-Leinen und mit kleinen weißen Wölkchen betupft, die aussahen, als hätte jemand mit einer Harke Furchen hineingezogen –, aber das Lager selbst machte eher einen bescheidenen Eindruck. Ein paar der größten Zelte waren zwar fein gearbeitet, und ein großes weißes war kunstvoll mit Sonnensymbolen dekoriert, doch die meisten waren häufig ausgebessert und mit Lederstücken geflickt worden, was ihnen ein schäbiges Aussehen verlieh. Weil es an gutem Holz für Zeltstangen fehlte, standen alle ziemlich schief und neigten sich dem Boden zu wie ein Haufen verwitterter brauner Pilze. Später erfuhr Marrah, daß sie im Inneren viel Platz boten, aber ihr erster Eindruck war, daß Stavans Volk an einem Ort lebte, der so arm wie jedes Fischerdorf war und nicht annähernd so komfortabel.
    Als sie in das Lager ritten, kamen Kinder angelaufen, Hunde bellten, und Frauen erhoben sich von ihren Kochfeuern, um sie vorbeiziehen zu sehen. Es gab ein Dutzend Männer, die Stavan hätten sein können und doch wieder nicht: ein Dutzend oder mehr genau in seinem Alter, alle mit gelbem Haar und blauen Augen, die jedoch nicht sein Gesicht oder sein Lächeln hatten. Marrah wußte nicht, ob sie erleichtert oder enttäuscht sein sollte.
    Sie ritten noch ein Stück weiter. Plötzlich und ohne Vorwarnung wurden sie erneut von einer Gruppe grimmig aussehender Krieger umringt, die ihre Pferde in einer Wolke von Staub zügelten, während Frauen, Hunde und Kinder in alle Richtungen davonstoben. Der Anführer des neuen Begrüßungskomitees war ein großer Mann mit einer tätowierten Sonne auf der linken Wange und einem fehlenden Ohr. Er starrte Slehan böse an und schleuderte ihm mit harter, rauher Stimme eine ganze Reihe von Fragen entgegen. Obwohl Marrah die Sprache der Hansi noch nicht sonderlich gut beherrschte, hatte sie keine Schwierigkeiten, zu verstehen, was er sagte. Er war der Anführer von Zuhans Leibwächtern. Ob sie in Frieden gekommen wären und unbewaffnet, oder ob sie bereit seien zu sterben?
    Slehan bedachte den Mann mit einem kühlen, arroganten Lächeln. Glaubten Zuhans Krieger allen Ernstes, er sei so dumm, in das Lager des Großen Häuptlings zu reiten und sich Schwierigkeiten einzuhandeln? Sie sollten schleunigst ihre Speere wegstecken. Er brächte große Schätze aus dem Westen mit: Sklavinnen, Gold, Vieh und Achans Sohn.
    Als die Krieger Achans Namen hörten, senkten sie ihre Speere und starrten Arang ehrfürchtig an. Selbst der Mann mit dem fehlenden Ohr wirkte beeindruckt. Ob Slehan so freundlich sein wolle, sofort zu Zuhans Zelt mitzukommen, um ihm die freudige Nachricht mitzuteilen? fragte der Anführer höflich. Slehan bejahte. Der Anführer dankte ihm. Er verbeugte sich sogar vor ihm. Die Veränderung in seinem Benehmen war verblüffend. Er und seine Krieger waren jetzt regelrecht unterwürfig. Marrah fand zwar, daß einige von ihnen noch immer argwöhnisch aussahen, aber vielleicht war es nur ihre eigene Furcht, die sie voreingenommen machte. Der Anführer steckte seine Waffen weg und sagte etwas, was sie nicht verstehen konnte. Es war wahrscheinlich eine Entschuldigung oder eine Begrüßung, denn als er fertig war, ritt er zu Arang und küßte ihn auf beide Wangen, und alle brachen in Jubelrufe aus.
    Danach geschah alles viel zu schnell. Noch bevor Marrah richtig begriff, was passierte, begleiteten der Anführer und seine Männer Arang, Slehan und die Chanki-Krieger in aller Eile zu Zuhans Zelt, während die Frauen und Wachen zurückblieben. Kaum war Arang außer Sichtweite verschwunden, da war es vorbei mit den Höflichkeiten. Die Wachen zwangen die

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