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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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entspannt, was ermutigend war, doch als Marrah genauer hinsah, bemerkte sie, daß Dalish die Zügel ihrer Stute so fest umklammert hielt, daß ihre Fingerknöchel weiß hervortraten.
    Sie ritten weiter. Das Gras in Lagernähe war höher, als es in anderen Teilen der Steppe gewesen war, und es wuchs besonders dicht: braun, grün und so üppig wie Haar, mit schweren Köpfen, die an ihren wollenen Beinlingen entlangstreiften und Samen zurückließen. Bald erreichten sie ein großes, flaches Gelände, wo die Tiere das Gras bis auf den Boden abgerupft hatten, und dann trafen sie auf die Herde selbst. Als erstes sahen sie die Pferde, die in kleinen Gruppen zusammenstanden, Kopf bei Schwanz, um sich gegenseitig die lästigen Fliegen wegzuschlagen. Jeder Hengst war von einem Dutzend oder mehr Stuten und staksbeinigen Fohlen umgeben; es waren wild aussehende, kurzmähnige, stämmige Tiere, und wenn sie jemals zugeritten worden waren, so merkte man es ihnen nicht an. Hinter den Pferden graste eine große Viehherde, die sich in alle Richtungen ausdehnte, so weit das Auge sehen konnte. Die Rinder waren hornlos und wirkten so störrisch wie die Pferde, und einige der größeren Bullen sahen recht gefährlich aus, aber die Krieger ritten an ihnen vorbei, ohne ihnen einen Blick zu gönnen. Näher am Lager, in Gehweite von den Zelten entfernt, ließen die Nomaden ihre langhaarigen Schafe, ihre Ziegen, einige Reitpferde und eine Herde Milchstuten weiden.
    Die Tiere waren in vielerlei Hinsicht ein faszinierend schöner Anblick, und wenn Marrah nicht so beunruhigt gewesen wäre, hätte sie es wahrscheinlich genossen, so viele verschiedene Arten friedlich zusammen grasen zu sehen. Keine zwei hatten dieselbe Farbe: Allein die Pferde wiesen sämtliche Schattierungen von Hellbraun und Kastanienbraun, Grau, Schwarz und Weiß auf; die Rinder waren so verschieden wie ein Stapel unglasierter Tonziegel, und die fetten, langhaarigen Schafe sahen herrlich komisch aus, als sie wie große, prall gefüllte Kopfkissen von einer Stelle zur anderen liefen. Aber Marrah hatte im Moment keinen Sinn für Humor oder Schönheit. Die Hansi-Zelte rückten mit jeder Minute näher, wo Liebe und Kummer auf sie warteten, so eng miteinander verbunden, daß sie jedesmal nur Verwirrung und Furcht fühlte, wenn sie aufblickte und das Lager vor sich sah.
    Vor langer Zeit, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, hatte Sabalah sie gewarnt, vorsichtig mit dem zu sein, was sie sich wünschte, weil es sein könnte, daß die Göttin ihren Wunsch erfüllte. Damals hatte Marrah diesen Rat als typischen Unsinn von Erwachsenen abgetan, aber jetzt verstand sie, was ihre Mutter gemeint hatte. Über zwei Jahre lang hatte sie sich gewünscht, Stavan wiederzusehen: Sie war in die Traumhöhle gegangen, um auf ein Zeichen von ihm zu warten, hatte auf den Klippen von Shara gestanden und die einlaufenden Schiffe beobachtet und die Göttin um eine Vision oder ein Wort angefleht. Und jetzt war ihr Wunsch erfüllt worden. Sie wurde zu eben jenem Ort gebracht, wo sie Stavan höchstwahrscheinlich begegnen würde, aber was war das für eine Wiedervereinigung! Wenn sie auch nur ein Wort mit ihm wechselte, könnte er getötet werden; wenn sie von ihrem Pferd sprang und zu ihm rannte und ihn umarmte und ihn bat, ihr zu erzählen, was er alles erlebt hatte, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, würden sie wahrscheinlich beide grausam getötet. Selbst wenn sie an ihm vorbeiritt, als hätte sie ihn noch nie zuvor gesehen, konnte etwas Schreckliches passieren. Die Nomaden mochten wild und unberechenbar sein, aber sie waren nicht dumm. Arang sah Achan nicht im geringsten ähnlich. Er war klein und dunkel, während Stavans Bruder ein blonder Hüne gewesen war. Vielleicht würde Zuhan einen Tobsuchtsanfall bekommen, sobald er ihren Bruder erblickte, ihn als Schwindler entlarven und sie beide zur Strafe hinrichten. Oder, wenn Arang überlebte, vielleicht würde Zuhan dann nur einen Blick auf sie werfen, erkennen, daß sie eine Hexe war, die Stavan verzaubert hatte, und einem seiner Krieger befehlen, sie mit seinem Speer zu durchbohren, bevor sie noch weiteres Unheil anrichten konnte. Wie auch immer, Stavan konnte ohne weiteres sterben bei dem Versuch, sie und Arang zu verteidigen.
    Der Gedanke, wie sie zu dritt zur Erdenmutter heimkehrten, jeder von ihnen mit einem Hansi-Speer in der Brust, war mehr als beunruhigend. Marrah ritt mit gesenktem Kopf, tief in Gedanken versunken, während sie

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