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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Fraß vorgeworfen, wenn ich ein Mädchen gewesen wäre, aber da ich ein Junge war, übergab sie mich an Tzinta, damit sie mich aufzog. Tzinta war die Sklavin, die mich Shambah sprechen lehrte. Übrigens, es war nur Zufall, daß ich in der Sprache von Shambah geschrien habe, als ihr mir Achans Leichnam zeigtet. Ich war schon vor Wochen zu dem Schluß gekommen, daß euer Volk keine von den Sprachen spricht, die ich verstehe, aber ich war völlig außer mir, und manchmal, wenn ich mich aufrege, falle ich in die Sprache meiner Kindheit zurück.«
    Er lächelte. »Dafür habe ich Tzinta zu danken. Ich war ihr sehr zugetan. Sie war die Mutter meines Halbbruders Vlahan, und sie wurde den Wilden geraubt, als sie schon fast eine erwachsene Frau war, deshalb waren viele Schläge nötig, um sie gehorsam zu machen. Vlahan schämte sich immer seiner Mutter, aber ich bewunderte ihren Mut und ihre Zähigkeit.« Stavan schmunzelte. »Wenn die alte Zulike mit einer Pferdepeitsche auf Tzinta losging, nannte Tzinta sie ›Ziegengesicht‹ und ›Kuhscheiße‹, aber sie schrie auf shambah, deshalb konnte Zulike sie nicht verstehen. Sonst sprach Tzinta von Zulike immer als von der ›alten Hexe‹, deshalb glaubte ich als Kind jahrelang, es sei das Wort für ›Ehefrau des Häuptlings‹.«
    »Hör auf!« schrie Marrah und legte einen Finger auf seine Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Wie kannst du dabei lachen, wenn du so schreckliche Dinge sagst? Wie kann eine Frau eine andere Frau schlagen und nicht aus dem Stamm verstoßen werden? Mein Volk hätte dieser Zulike das Ohrläppchen abgeschnitten und sie in die Wälder verbannt! «
    Stavan blickte sie an, als wüßte er beim besten Willen nicht, warum sie sich so aufregte. »Ich glaube, du hast nicht verstanden, was ich gerade gesagt habe«, erklärte er steif, und der wachsame Ausdruck kehrte in seine Augen zurück. »Niemand würde es wagen, Zulikes Ohrläppchen abzuschneiden. Sie ist die Ehefrau meines Vaters, des Großen Häuptlings, und Tzinta – die vor Jahren starb – war nichts weiter als eine Sklavin. Wenn die Frau eines Häuptlings eine Sklavin schlagen will, dann hat sie jedes Recht dazu. Mein Volk sagt, Han hat die Starken geschaffen, um die Schwachen zu beherrschen, und die Schwachen, um sich den Starken zu unterwerfen.«
    »Dieser Gott von euch klingt grausam.« Marrah war zu aufgebracht, um diplomatisch zu sein. »Wenn das ein Beispiel für eines seiner Gebote ist, dann denke ich, du solltest...« Sie hielt abrupt inne, ohne so recht zu wissen, was Stavan ihrer Meinung nach tun sollte, doch dann fiel es ihr ein. »Du solltest besser die Göttin Erde verehren statt Han.
Ihr
erstes Gebot lautet, daß wir alle in Liebe und Harmonie miteinander leben sollten.«
    Plötzlich wurde Stavan blaß und machte ein seltsames Zeichen mit seinen Händen, wobei er den Zeigefinger und den kleinen Finger ausstreckte. »Du darfst das nicht sagen! Sonst werden wir Hans Fluch zu spüren bekommen. Sag, daß du es nicht so gemeint hast, bitte!«
    Er wirkte so aufrichtig besorgt, daß Marrah nachgab und erklärte, sie hätte es nicht so gemeint, obwohl es durchaus so war, aber danach verlief die Unterhaltung nicht besser. Bis sie die Eichelkuchen und den Käse vollständig aufgegessen hatten, hatte Stavan ihr erklärt, was ein »Sklave«, eine »Konkubine« und ein »Krieger« waren, und als sie anschließend wieder aufbrachen, war Marrah so bestürzt über die gewalttätige Welt, die Stavan ihr geschildert hatte, daß sie ihm den Rest des Nachmittags aus dem Weg ging.
    Stavan erkannte, daß mit ihrer Unterhaltung etwas schiefgelaufen war, und als er sich verbissen bemühte, mit den anderen Schritt zu halten, überlegte er, was er tun könnte, um den Ausdruck des Entsetzens aus Marrahs Augen zu verbannen. Weniger deshalb, weil er sich zu ihr als Frau hingezogen fühlte – obwohl sie ungewöhnlich hübsch für eine Wilde war –, sondern eher aus dem Grund, weil er es noch nie gemocht hatte, wenn jemand schlecht von ihm dachte. Er hatte in seinem Leben schon eine Menge Spott und grausamer Neckereien und sogar scharfe Rügen von seinem Vater einstecken müssen, weil ihm solche Dinge wichtig waren, aber er konnte nun einmal nichts dafür. Hätte Marrah ihn mit brennenden Stöcken malträtiert, hätte er die Folterung ohne einen Schmerzensschrei ertragen und ihr getrotzt und seine Schlachtlieder gesungen. Er war alles andere als ein Feigling, doch der Blick, den sie ihm zugeworfen hatte,

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