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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Wasserfall aus weißen Stalactiten und glitzernden Kristallen von der Decke herab.
    Emzate reichte die Fackel an Ume weiter, Urne übergab sie Zahar. Das Licht vervielfachte sich in zuckenden orangefarbenen Flammen. Als alle Fackeln angezündet waren, hielten die Priesterinnen sie hoch über ihren Köpfen und drehten sich zu den Pilgern um.
    Zahar lächelte ihnen zu, als wäre sie im Begriff, eine Rede zu halten, aber statt dessen tat sie eines der simplen Dinge, für die die Priesterinnen von Nar berühmt waren. »Dreht euch um«, befahl sie.
    Die Gruppe wandte sich um, und was sie sahen, ließ sie überrascht und erstaunt aufschreien. Direkt über dem Eingang zum Tunnel schwammen sieben große Hirsche durch einen unsichtbaren Fluß, die Köpfe mit den massigen Geweihen leicht zurückgelegt, während ihre Hufe das Wasser aufspritzen ließen.
    »Diese Hirsche wurden vor sehr langer Zeit gemalt«, erklärte Emzate leise. »Vor so langer Zeit, daß niemand mehr weiß, wann es war. Die Erinnerungslieder sagen, daß unsere Vorfahren diese Wandbilder bereits vor dem Großen Frühling schufen, als die Welt noch mit Eis bedeckt war, aber vielleicht sind sie auch noch älter.« Die Priesterinnen senkten ihre Fackeln, und die Hirsche verschmolzen mit der Dunkelheit. »Kommt mit. Es gibt noch mehr – insgesamt drei Höhlen – und die Geister der Tiere tanzen in allen von ihnen.«
    Die Reisenden folgten den Priesterinnen über einen breiten, ausgetretenen Pfad an einem unterirdischen Fluß entlang, der mit bleichen Fischen gefüllt war, die niemals das Licht der Sonne erblickt hatten, vorbei an weißen Salamandern, die ängstlich davonhuschten, als sie sich näherten. Manchmal flatterte eine Fledermaus über ihre Köpfe hinweg, oder Wasser rann über einen Steilabfall und verschwand in der Dunkelheit, aber ansonsten war keinerlei Geräusch zu hören, kein Zwitschern von Vögeln oder das Rascheln von Blättern im Wind oder auch nur das Summen eines Insekts. Die Stille war so unendlich, daß sie sich nur im Flüsterton unterhielten, weil es ihnen widerstrebte, sie zu stören.
    Die zweite Höhle war kleiner als die erste, aber sogar noch schöner: Gewaltige Bullen, Herden springender Rehe und schwarze Hirsche mit breiten, ausladenden Geweihen galoppierten an den Wänden entlang und über die Decke. Es gab auch noch Zeichnungen von anderen Tieren, die Marrah nicht kannte, Tiere aus einem Traum vielleicht: eine große Katze; ein mit wolligem, krausem Fell bedecktes, kuhähnliches Geschöpf mit gewaltigem Kopf; ein dickes Tier mit stämmigen Beinen, einem langen, kanuförmigen Maul und einem dünnen Ringelschwanz. Die Tiere waren mit schnellen, fließenden Strichen gezeichnet, so daß sie sich zu bewegen schienen, und als Marrah dort stand, fasziniert von ihrer Schönheit, konnte sie sich mühelos vorstellen, wie sie einst durch das hohe Gras einer längst verdorrten Wiese galoppiert waren.
    Wieder hoben Zahar, Emzate und Urne ihre Fackeln hoch über den Kopf, damit das Licht in jeden Winkel und jede Felsspalte fiel. Jetzt sah Marrah, daß es noch andere Zeichnungen auf den Wänden gab: Abdrücke menschlicher Hände, Punkte, Linien, Rechtecke und, zwischen allen diesen Symbolen verstreut, ein halbes Dutzend ockerfarbener Dreiecke.
    »Dann haben sie also auch die Göttin Erde angebetet«, flüsterte Rhom.
    »Ja.« Emzate nickte. »Auch sie kannten ihre Liebe. Hier in ihrem Schoß haben sie die ewigen Herden gezeichnet. Vielleicht brachten sie ihre jungen Leute hierher, wenn sie volljährig wurden, um sie in der heiligen Kunst des Jagens zu unterweisen, und vielleicht kamen ihre Priesterinnen hierher, so wie wir es tun, um zwischen den Geistern der Tiere zu sitzen und zu beten. Aber kommt mit, es gibt noch eine weitere Höhle zu sehen.«
    »Die dritte ist die schönste von allen«, versprach Urne und senkte ihre Fackel, um vorauszugehen und den Reisenden den Weg zu zeigen.
    Kaum hatte Marrah die letzte der Höhlen betreten, da wußte sie, daß Urne nicht übertrieben hatte. Eine gesamte Wand bestand aus einem einzigen Meer von weißen Marmorstalaktiten, die wie gigantische Eiszapfen zum Boden strebten. Die anderen drei Wände und die Decke waren so dicht mit den Körpern von Tieren bemalt, daß sie sich in einem einzigen großen, schwindelerregenden Wirbel überlagerten, ein Anblick, der Marrah regelrecht den Atem raubte. Hier und dort tauchten strichmännchenähnliche menschliche Gestalten dazwischen auf, die mit Bogen oder Speeren

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