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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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zu jagen schienen, während andere tanzten oder in Trance dalagen. Fasziniert betrachtete Marrah ein seltsames Tier, das wie ein Bär mit einem menschlichen Gesicht aussah, als sie Stavan plötzlich scharf nach Luft schnappen hörte.
    »Sieh mal«, flüsterte er, während er an die Decke zeigte. Sie blickte hoch und sah eine Herde von den Tieren, die Pferde genannt wurden. »Vielleicht haben sie vor langer Zeit hier in diesen Bergen gelebt«, sagte Stavan leise, und sie konnte das Heimweh in seiner Stimme hören. »Vielleicht sind eure Vorfahren auch auf Pferden geritten.«
    Marrah schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.« Es tat ihr leid, daß er sich beim Anblick der Tiere nach seinen Leuten zurüccsehnte, aber soweit es sie betraf, wäre sie ebenso zufrieden gewesen, wenn es an der Decke über ihrem Kopf irgendwelche anderen Tiere zu bestaunen gegeben hätte. Sie starrte zu den gemalten Pferden hoch, bemühte sich, sie mit Widerwillen und Abneigung zu betrachten, aber sie konnte es nicht. Sie waren zu schön. Zehn, zwanzig, dreißig von ihnen galoppierten über die gesamte Höhlendecke, die Köpfe stolz erhoben, mit flatternden Mähnen und Schweifen, Verkörperung einer wilden Anmut, eine Rasse, die vor so langer Zeit aus diesen Breiten verschwunden war, daß man sich noch nicht mal mehr an ihren Namen erinnern konnte.
    Die Priesterinnen ließen sie die Malereien bewundern, so lange sie wollten. Dann führten sie die Reisenden zu einer natürlichen Bank aus Kalkstein und wiesen sie an, sich zu setzen, mit dem Rücken zu der Wand aus Stalaktiten. »Schließt die Augen«, befahl Zahar, »nehmt euch gegenseitig bei den Händen und macht die Augen nicht eher auf, bis ihr die Musik hört.«
    Marrah fragte sich, welche Musik sie wohl meinen konnte. Vielleicht hatten sie Flöten mitgebracht. Ganz sicherlich keine Trommeln oder Harfen, nicht bei der Enge des Tunnels. Nun, sie würde es ohne Zweifel bald erfahren. Gehorsam streckte sie den Arm aus und ergriff Arangs Hand. Stavan hatte sich links von ihr auf die Bank gesetzt, deshalb nahm sie auch seine Hand. Als Marrah ihn berührte, zuckte er kaum merklich zusammen, umfaßte ihre Hand mit zitternden Fingern und hielt sie fest in seiner. Der Anblick der Pferde mußte ihn stärker erschüttert haben, als sie vermutet hatte. Sie überlegte gerade, ob sie etwas Tröstendes zu ihm sagen sollte, als die Höhle plötzlich von einem süßen, glockenähnlichen Klang erfüllt wurde. Während sie zuhörte, spaltete sich der Klang in verschiedene Töne auf, und dann mischten sich weitere Klänge in die Melodie, bis die ganze Höhle vibrierte.
    Überrascht öffnete sie die Augen, blickte über ihre Schulter zurück und sah Urne behutsam mit einem hölzernen Klöppel gegen die Stalaktiten schlagen. Während sie spielte, begannen Zahar und Emzate langsam hin und her zu gehen, wobei sie die Fackeln hochhielten, und als sie sich bewegten, bewegten sich auch die Schatten mit ihnen, und die Tiere an Decke und Wänden schienen auf geheimnisvolle Weise zum Leben zu erwachen. Die sich überlagernden Körper der Bullen verschmolzen im flackernden Licht der Fackeln zu einem einzigen Tier, das im Takt zur Musik zu tanzen schien, und die Pferde und Hirsche tanzten mit ihm.
    »Das ist ja die reinste Zauberei!« rief Stavan erregt und sprach ihnen allen damit aus der Seele, und als Marrah ihn anblickte, sah sie, daß er sich vorbeugte und den Atem anhielt, als hätte er Angst, den Zauber zu brechen.
    Der Rückweg durch den Tunnel war nicht annähernd so furchteinflößend wie der Hinweg. Da Marrah jetzt wußte, was sie erwartete, ließ sie sich Zeit, ignorierte die blauen Erscheinungen, die in der Dunkelheit schwammen, und verbrachte eine unbehagliche, aber erträgliche Weile damit, an andere Dinge zu denken, während sie sich Stück für Stück durch den engen Gang vorwärtsschob. Hauptsächlich dachte sie an das Wunder der Höhlen.
    Als sie aus der Öffnung herauskrochen, war es Nacht. Der Mond war untergegangen, und der Himmel war über und über mit Sternen übersät, die wie Eisstückchen in der dünnen Gebirgsluft glitzerten. Es war kalt genug, um Marrah daran zu erinnern, daß bald der Winter kam, aber als sie fröstelnd draußen vor dem Eingang zur Höhle stand und auf die anderen wartete, fühlte sie sich von einer Hochstimmung erfaßt.
    Jetzt begriff sie, warum die Priesterinnen von Nar keine heiligen Elixire brauchten, um trunken vor Glückseligkeit zu sein.
    Am nächsten Morgen

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