Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
kranken Tier bergab, und gegen Morgen war es tot. Arang weinte bitterlich um sein Pferd, das er liebgewonnen hatte, Stavan sah die Sache jedoch mehr von der praktischen Seite.
»Wir werden ihn essen«, verkündete er.
Marrah und Arang waren entsetzt über diesen Vorschlag. Der Rotschimmel hatte Arang so treu gedient, daß er für ihn beinahe ein Familienmitglied darstellte, und außerdem wußte jeder, daß es riskant war, kranke Tiere zu essen; aber Hiknak und Dalish stimmten Stavan zu.
»Er hat viel Fleisch auf den Knochen«, sagte Dalish; rasch zog sie ihr Messer hervor und begann das Pferd auf eine fachmännische, nüchterne Art auszuweiden, die Marrah wieder daran erinnerte, wie lange die junge Frau unter den Nomaden gelebt hatte. Wenig später war das Tier zerlegt, und sie ritten mit frischem Pferdefleisch in ihren Satteltaschen davon; die Knochen und Reste blieben für die Wölfe zurück. Das Pferdefleisch fror bald zu Stein, und in den folgenden Tagen waren sowohl Marrah als auch Arang froh über den zusätzlichen Proviant.
Sie hatten zuviel Zeit verloren und waren zu weit nach Norden geritten in der Absicht, ihre Fährte zu verwischen. Jetzt fegte der erste der großen Winterstürme über das Land, mit derart starken Windböen, daß Marrah das Gefühl hatte, sie ritte geradewegs in das Auge eines Zyklons hinein. Bald lag der Schnee so hoch, daß er einem großen Mann bis zur Taille reichte, und wenn der Wind ihn in die Luft wirbelte, bildeten sich Schneewehen, die unüberwindliche Hindernisse darstellten. Das Reiten wurde zunehmend mühsamer und gefährlicher. Bisweilen versanken die Pferde fast bis zu den Bäuchen im Schnee, wenn ihre harten Hufe durch die Eiskruste brachen, und an manchen Tagen war das Schneegestöber so heftig, daß selbst Stavan nicht mehr erkennen konnte, welche Richtung sie nahmen.
»Der Winter ist schon zu weit fortgeschritten«, sagte er eines Abends düster, als sie dicht aneinandergedrängt in ihrer Schneehöhle kauerten und darauf horchten, wie der Wind über die weite Leere draußen heulte. »Wir müssen eine Stelle suchen, wo wir das Frühjahr abwarten können. Die Pferde haben große Mühe, an das Gras heranzukommen, und wenn sie nichts zu fressen finden, werden noch mehr von ihnen verenden.«
»Holen uns dann die Krieger nicht ein, wenn wir unsere Reise unterbrechen? « fragte Arang und blickte ängstlich über seine Schulter zurück, als rechne er jeden Moment damit, die Hunde wieder bellen zu hören; doch Stavan schüttelte den Kopf.
»Nicht bei diesem Wetter. Selbst die Hansi sind nicht so verrückt, Kriegerverbände auszuschicken, wenn Aitnok, der Sturmgott, seine weißen Herden über die Steppe treibt.«
Marrah war enttäuscht. Sie wollte so schnell wie möglich nach Shara zurück, aber Stavan hatte recht. Diese Stürme waren schlimmer als alle Unbilden, die sie je erlebt hatte, und die Kälte drang ihnen in Mark und Bein. Der Nordwind machte ihre Finger und Zehen augenblicklich gefühllos, wenn sie morgens aus der Schneehöhle kroch; es war nicht sonderlich schwer, sich vorzustellen, wie sie alle – Pferde und Menschen – durch jene sturmdurchtoste, weite Landschaft wanderten, bis sie verhungerten oder erfroren.
Deshalb ritt Stavan während der nächsten Tage jeden Morgen allein fort, um nach einer geeigneten Senke Ausschau zu halten, wo sie Schutz suchen könnten. Das Glück war auf seiner Seite, und bis zu dem Zeitpunkt, als der nächste schwere Sturm von Norden heranbrauste, hatten sie einen sicheren Unterschlupf in einem kleinen Einschnitt gefunden. In dieser unwirtlichen Region war eine geschützte Bodenvertiefung so ziemlich der angenehmste Ort, den man finden konnte, um den Winter zu überstehen; trotz ihrer Ungeduld, endlich in die Heimat zurückzukehren, war Marrah deshalb erleichtert.
Sie lagerten in dem flachen Tal eines Baches, der zwar zugefroren war, aber glücklicherweise nicht ganz bis zum Grund, da man schließlich dreizehn durstige Pferde regelmäßig mit frischem Wasser versorgen mußte. Trockenes Gras befand sich reichlich unter dem Schnee, als wäre es in einem Heuschober aufbewahrt; hier lagen die weißen Flocken auch nicht so hoch, also konnten die Pferde während der ersten paar Wochen an die Halme herankommen (später allerdings waren sie gezwungen, das Gras auszugraben). Es gab sogar ein Wäldchen knorriger Eichen, die Feuerholz und etliche übriggebliebene Eicheln für Fladen und Brei lieferten, und ein halbes Dutzend kahler Weiden,
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