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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Erscheinen auszulösen; etwas Grausiges mußte geschehen sein, daß die Leute derart kopflos vor Fremden zu Pferd flohen. »Beim nächsten Mal sollten wir lieber absitzen und zu Fuß in das Dorf gehen«, schlug Marrah vor.
    Hiknak und Arang erklärten sich einverstanden, und Dalish schloß sich ihnen an. Selbst Stavan, der es immer haßte, zu Fuß zu gehen, wenn er reiten konnte, war es leid, irrtümlich für einen Banditen gehalten zu werden. Deshalb stiegen sie ab, als sie wieder Rauch rochen und Hunde in der Ferne bellen hörten; Hiknak und Arang blieben zurück, um auf die Pferde aufzupassen, während sich Marrah, Stavan und Dalish zu Fuß auf den Weg machten.
    Aber sie hätten ebensogut in die Mitte des Dorfes hineingaloppieren können, denn sobald sie auftauchten, rissen die Dörfler hastig ihre Kinder an sich und rannten in den Wald. Nur einen alten Mann trafen sie an, und als sich die drei ihm langsam näherten unter der Versicherung, sie kämen in friedlicher Absicht, begann er wild zu fluchen und Steine nach ihnen zu werfen.
    »Ihr elendes Mörderpack! Ihr widerwärtigen Maden! « schrie er. »Möge die Göttin euch mit Unfruchtbarkeit strafen! Möge sie sich weigern, eure Seelen aufzunehmen, wenn ihr verreckt! Möge die Heilige Schlange über euch herfallen und euch beißen! Möge die Heilige Eule auf eure Köpfe scheißen und die Heiligen Krähen euer Fleisch ausspucken! «
    Dalish und Stavan, die an die wüsten Flüche der Nomaden gewöhnt waren, ließen sich nicht weiter davon beeindrucken, doch Marrah stand mit offenem Mund da. Noch niemals hatte sie jemanden so viele schreckliche Verwünschungen in einem Atemzug ausstoßen hören. Der alte Mann schleuderte zornig einen dicken Stein in ihre Richtung, aber er verfehlte sein Ziel und wirbelte nur eine kleine Staubwolke zu ihren Füßen auf. Sie musterte den Alten genauer: Er war grauhaarig, zerbrechlich und ganz krumm vor Arthritis, weshalb er auch wahrscheinlich nicht mit den anderen fliehen konnte.
    Aber er hatte noch etwas anderes an sich, etwas, was Marrah nicht genau zu benennen vermochte. Er sah nicht normal aus, sondern hohlwangig, mit einem aufgeblähten, vorstehenden Bauch sowie dürren Armen und Beinen, nicht dicker als Weidenzweige. Sein Kopf ähnelte einem Totenschädel, fast fleischlos mit eingesunkenen und von schwarzen Rändern umgebenen Augen; dennoch sah er nicht krank aus, und er warf ganz sicher nicht mit Steinen wie jemand, der an Schwindsucht litt.
    Marrah brauchte einen Moment, um zu erkennen, was mit dem alten Mann nicht stimmte. Sie war den weiten Weg vom Meer der grauen Wogen nach Shara gewandert, hatte die Inseln des Südens und die baumlosen Steppen des Nordens gesehen, aber noch nie zuvor hatte sie jemanden verhungern sehen! Sie war erschüttert. Wie konnte er Hungers sterben mitten in einem Wald voller Wild und in einem der fruchtbarsten Landstriche an den Ufern des Süßwassersees? Er war ein alter Mann, dessen Verwandte ihn mit dem Besten von allem hätten füttern sollen. Das vierte Gebot der Göttlichen Schwestern lautete: »Respektiere alte Menschen«, und Marrah hatte noch kein Dorf erlebt, wo es nicht befolgt worden wäre.
    »Verehrter Onkel«, rief sie auf shambahnisch. »Hör auf damit, ich bitte dich. Wir kommen in Freundschaft.«
    Der alte Mann ließ nicht erkennen, ob er sie gehört hatte. Nachdem er seinen letzten Stein geschleudert hatte, setzte er sich störrisch in die Mitte des Pfades und verschränkte seine dürren Arme vor der Brust. »Na los, mach schon und töte mich, du gelbbärtiger Schweinepimmel!« schrie er Stavan zu. »Wen kümmert das schon?«
    Ohne Zweifel hielt er sie irrtümlich für räuberische Nomaden, was sie durchaus verstand, da Marrah und Dalish Nomadentracht trugen und Stavan tatsächlich einer war. Wir werden uns irgendwie neue Kleider beschaffen müssen, dachte Marrah. Sie eilte mit Worten der Entschuldigung vorwärts und versuchte, dem alten Mann auf die Füße zu helfen, aber er schubste sie mit erstaunlicher Kraft von sich. Bevor Marrah wußte, wie ihr geschah, saß sie neben ihm im Staub, und bevor sie dazu kam, die Ängste des Alten zu beschwichtigen, spuckte er ihr zornig ins Gesicht.
    »Hör auf damit!« schrie sie. »Hast du das bißchen Verstand verloren, das die Göttin dir gegeben hat? Begreifst du denn nicht, daß wir dir nichts Böses antun wollen?« Sie war drauf und dran, ihn einen alten Idioten zu schimpfen, aber Jahre der Erziehung machten es ihr unmöglich, einen Mann

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