Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
was sie am Ende der Welt anstellten.«
Arang beugte sich vor, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, sein Ausdruck wachsam und angespannt im Feuerschein. Zum ersten Mal seit Wochen schien er voll und ganz bei der Sache zu sein, als hätte ihn die schlimme Nachricht aus der glücklichen Traumwelt gerissen, die er mit Hiknak geteilt hatte. »Du sagst, sie sind in Shambah?«
Stavan nickte. »Sie haben ihr Lager direkt in den Ruinen aufgeschlagen.«
»Auf wie viele schätzt du sie?«
»Zu viele, als daß wir gegen sie kämpfen könnten, wenn es das ist, worauf du hinauswillst. Ich habe zehn Zelte gezählt, und sie sahen alle aus, als wären sie aus ungegerbten Häuten und frischem Holz gebaut – recht und schlecht zusammengefügt von jemandem, der nur wenig Ahnung vom Zeltbau hat. Ich glaube, sie haben die überlebenden Frauen von Shambah gezwungen, diese Arbeit für sie zu verrichten, aber das ist noch nicht der merkwürdigste Teil der Geschichte.« Er legte eine Pause ein. »Sie haben etwas gebaut.«
»Was denn? « fragte Hiknak ungeduldig.
»Eine Art Haus.« Er holte mit den Armen weit aus. »Ein großes, das ganz aus Holz besteht. Es ist viereckig und ungefähr zweihundert Schritte breit. Vermutlich ist es eine Art Lagerhaus, aber es könnte auch ein Tempel sein. Es hat zwei Stockwerke, und um den Rand des obersten Stockwerks verlaufen seltsame kleine Fenster –nicht groß genug, um bequem heraussehen zu können, aber groß genug, um einen Pfeil durch die Öffnung hinauszuschießen, wenn man dazu geneigt ist.
Dieses Haus – oder was es sein mag – ist von einer massiven Umfriedung umgeben. Vielleicht soll dieser Wall einen Pferch einzäunen, weil die Krieger einige ihrer Pferde im Inneren halten; aber wenn er wirklich diesem Zweck dient, dann hätten sich die Männer ziemlich viel Arbeit sparen können, indem sie ganz einfach Dornen-ranken aufgeschichtet hätten. Dieser Wall ist doppelt so hoch wie ein Mann; die Seiten bestehen aus Baumstämmen, die wie Pfähle im Boden stecken, und drumherum türmen sich weitere Stämme, damit niemand hinaufklettern kann – geschweige denn direkt heran-reiten. Die Shubhai müssen irgendeine Art von Gesims an der Innenseite gebaut haben, weil ich mindestens zwei Wachtposten darauf habe stehen sehen; glücklicherweise haben nicht sie mich zuerst entdeckt! «
Wieder hielt Stavan inne und nahm einen Bissen von dem Kaninchenfleisch. Niemand sprach. Alle versuchten, sich das seltsame Gebäude vorzustellen, das die Nomaden auf den Ruinen von Sam-bah errichtet hatten.
»Was glaubst du, welchem Zweck es dient?« fragte Hiknak nachdenklich und strich sich eine Haarsträhne aus den Augen. »Noch nie habe ich von Kriegern gehört, die irgend etwas gebaut haben, das man nicht von der Stelle bewegen kann. Als ich ein Kind war, haben die Erwachsenen immer gesagt: ›Wenn du es nicht einen halben Tag lang bei schnellem Marschtempo auf dem Rücken tragen kannst, dann taugt es nichts.‹ Das war natürlich eine Übertreibung. Wir haben viele Dinge auf den Rücken unserer Pferde transportiert, die kein Mensch einen halben Tag lang mit sich hätte herumschleppen können; aber trotzdem war alles, was wir besaßen, dazu gemacht, eingepackt und fortbewegt zu werden. Wenn wir einen Lagerplatz verließen, haben wir sogar die Buscheinzäunungen plattgetrampelt und ein paar davon zur Zubereitung der letzten Mahlzeit benutzt.«
Stavan aß noch einen Bissen Kaninchenfleisch und wischte sich die Finger an seinen Beinlingen ab. »Genau das gleiche habe ich mich auch gefragt: Wenn ich die Shubhai wäre, warum würde ich dann die große Mühe auf mich nehmen, ein festes Gebäude zu errichten? Die Antwort ist nicht sofort erkennbar, weil man gleich zu Anfang mit der Tatsache konfrontiert wird, daß die Shubhai so ziemlich das faulste Volk auf der ganzen Erde sind. Also gelangte ich erst einmal zu dem Schluß, daß sie shambahnische Sklaven benutzen, die die Arbeit für sie erledigen, und daß sie diese Sklaven wahrscheinlich zu Tode schinden, weil das die Art der Shubhai ist.«
Marrah sog scharf die Luft ein, unterbrach ihn jedoch nicht. Die Vorstellung, daß vielleicht einige wenige Einwohner von Shambah das Massaker überlebt hatten, nur um dann versklavt und zu Tode geschunden zu werden, war schrecklich, aber sie begriff, daß Stavan recht haben mußte.
»Seht ihr, sie haben Sklaven – Sklaven, die um ihr Leben bangen und deshalb bereit sind, alles zu tun. Als nächstes muß man sich fragen,
Weitere Kostenlose Bücher