Altoetting
zugezwinkert und großzügig »Isabelle, das geht heute alles auf mich« der Bedienung hinter die Bar geworfen. Wie aufs Stichwort kam nicht nur der Champus im Kübel daher, sondern auch der Ostblock. Von links und rechts nahmen zwei Prostituierte Plotek in die Zange, während Brunner wieder wie ein Buch geredet hat und immer wieder »Bedienen Sie sich, Herr Plotek!« und »Einfach zugreifen, Herr Plotek!« rief.
Plotek hatte die lackierten Nuttenfinger auf der Hose, die geschminkten Lippen am Ohr, den puderigen Geruch in der Nase und, am schlimmsten, Brunners Geschwätz schmerzend im Kopf.
»Du fickificki!« und »Ich alles, was du wolle!«, kam süß säuselnd aus dem angemalten Hurenmund.
Plotek wollte aber weder »fickificki« noch irgendetwas anderes von den halb nackten polnischen Damen. Auch nicht die Finger in seinem Schritt. Auf keinen Fall wollte er weiterhin von Brunner zugetextet werden. Im Gegenteil, je mehr Brunner redete, umso abweisender wurde Plotek. Also hat er sich Brunner schließlich ganz entzogen, den Kübel mit dem Champus geschnappt und ist mit dem hochhackigen Ostblock aufs Zimmer. Mit beiden, damit’s nicht ganz billig wird, weil ja alles auf Brunner geht.
Auf dem Zimmer war dann alles ganz anders. Es wurde nicht das von den Nutten erwartete und angebotene Programm abgerufen. »Ich nix fickificki!«, hat Plotek gesagt und die Damen am Entkleiden gehindert. Die schauten jetzt wie der Papst Wojtyla, der einer der Prostituierten an einer Kette um den Hals hing. Der anderen baumelte ein winziges Kreuz zwischen den großen polnischen Brüsten. Vielleicht werden ja im katholischen Altötting selbst die Nutten nach ihrer Glaubensstärke ausgewählt, hat Plotek gedacht, als die mit dem Wojtyla eingeschüchtert fragte: »Was du wolle?«
»Nix! Ihr legen euch auf Bett, ich sitzen im Sessel. Ihr zuhören, ich reden. Bezahlen der dicke Mann am Tresen. So wie zweifach mit allem!«, sagte Plotek und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander.
Jetzt lachten die Polinnen, so dass der Wojtyla und das Kreuz in den Dekolletees ganz wild gezappelt haben.
Die Nutten legten sich aufs Bett und Plotek erzählte ihnen alles, während der Wojtyla und das Kreuz immer wieder »Jeeeeschisch Mariiiaaaa!« dazwischenriefen, bevor sie schließlich eingeschlafen sind. Zwei Stunden ist Plotek im Sessel vor den schlafenden Nutten gesessen und hat erzählt. Zwei Stunden, die ihm wie Minuten vorgekommen sind. Da sieht man mal wieder, so ist das mit der Relativität und der Wahrnehmung von Zeit. Zwei Stunden waren wie zwei Minuten oder wie zwei Seiten von einem Roman. Also quasi ruck, zuck vorbei. Obwohl, das mit der Zeit ist ja so eine Sache. Manchmal erscheint ein Nichts wie die Ewigkeit, und dann ist manchmal eine halbe Ewigkeit wiekaumangefangenschonvorbei. Meistens ist das abhängig von positiv oder negativ, also bezüglich der Erfahrung und dem Gedächtnis. Soll heißen, der Erfolg ist im Gedächtnis besser organisiert als das Versagen, psychologisch jetzt. Auch medizinisch. Also, besser organisierte Erinnerungseinheiten ergeben kleinere Speichergrößen, die werden wiederum als kürzere Dauer wahrgenommen. Theoretisch. Oder andersrum, praktisch: Positive Erfahrungen nehmen weniger Platz im Hirn ein, sie werden so erfahren, als hätten sie auch weniger Zeit in Anspruch genommen. Klingt kompliziert, ist aber ganz einfach: Bei positiv vergeht die Zeit im Flug, bei negativ steht die Zeit still. Bei Plotek war das jetzt allerdings umgekehrt. Während er den schlafenden Nutten von den Judassen, den Briefen, dem Grab, der Votivtafel, den Passionsspielen und seinen Spekulationen darüber erzählte, verging die Zeit rasend schnell, so schnell, dass Plotek anschließend auf dem Parkplatz vor der Waldeslust, zurück bei Brunner, dachte: Scheiße! Wenn die Zeit weiter so schnell vergeht, bin ich jetzt gleich wieder im Hotel und der eigentliche Grund für den
Trip mit Brunner ist dahin. Also, ist das jetzt die letzte Chance.
Plotek nahm sich vor, dem angetrunkenen Ersten Bürgermeister ordentlich auf die Pelle zu rücken.
»Darf ich Sie um etwas bitten, Herr Brunner?«, hat Plotek neben den Mülltonnen gesagt und Brunner am Einsteigen gehindert.
»Um alles, Herr Plotek, um alles, was ich Ihnen erfüllen kann«, antwortete Brunner nach wie vor überschwänglich.
»Ich würde gern mit dem Mercedes fahren. Natürlich mit Ihnen an der Seite«, hat Plotek übers Mercedesdach geworfen. »Wissen Sie, Autofahren ist für mich schon
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