Altraterra. Band 1: Die Prophezeiung (German Edition)
gestattete.
Bald nach ihrem Gespräch mit Miraj passierten sie die ersten Siedlungen und Anne wurde erstmals klar, wie viele Menschen vom roten Volk es geben musste. Manche der einfachen, sicherlich ohne Magie errichteten Häuser wirkten sehr alt, als lebten ihre Besitzer bereits seit vielen Generationen hier. Anne sah Kornfelder, Schweine und Kühe, ganz wie bei ihr zu Hause. Zwischen den verschiedenen Siedlungen gab es Märkte, auf denen Stoffe, Milch und Töpfe feilgeboten wurden. Schlagartig überkam sie eine große Sehnsucht nach ihrem Vater und dem Hof.
Miraj wurde von allen Seiten respektvoll gegrüßt, man schien ihn zu kennen und zu achten. „Ist dein Haus auch hier in der Nähe?“ fragte Anne. „Nein“, entgegnete Miraj, „als Lehrender an der Universität ist es mir gestattet, nahe dem Gebäude unter den Grünmagiern zu leben. Aber ich komme oft hierher, wenn ich Abstand von ihnen brauche, und besuche meine Mutter.“ Anne war überrascht. „Du hast mir noch gar nicht erzählt, dass deine Mutter in der Schutzzone lebt. Sie hat doch keine magischen Kräfte.“ Miraj lächelte. „Ja, nicht alle Menschen vom roten Volk haben das Glück, ihre Familie hierher holen zu dürfen. Aber mir wurde dies als besonderer Vertrauensbeweis direkt vom Orden gewährt. Der Hohe Rat war dagegen, aber gegen die Weisungen vom Orden ist er machtlos – trotz aller Autorität, die er ausstrahlt.“ Anne schwieg. Es würde wohl eine Weile dauern, bis sie die gesellschaftlichen Strukturen in dieser Umgebung verstand. Aber dass Miraj gelegentlich Abstand von den Grünmagiern brauchte, war wenig überraschend nach all dem, was er erzählt hatte.
Am Nachmittag passierten sie den zweiten Steinkreis und Miraj erinnerte sie daran, dass sie sich hier im Bezirk des gelben Volkes befanden, unter dem auch Henri gelebt hatte. Anne erfuhr, dass er anfänglich in einer Art Wohnheim untergebracht gewesen war, später jedoch auf Mirajs Bemühen ein eigenes kleines Haus gestellt bekam. Sie vermutete, dass die Nachbarschaft mit den anderen Studenten, die ihn schnitten, für Henri schwierig gewesen war.
Die Menschen hier waren mit denen des roten Volkes optisch kaum vergleichbar. Sie trugen Kleidung, die Anne nicht einordnen konnte, aber die ihr irgendwie moderner vorkam. Die Frauen trugen Hosen und ihr Haar war zum Teil kurz geschnitten. Sie sah weder Felder noch Tiere, dafür aber etliche Häuser, die sie als Studentenwohnheime identifizieren konnte. Sie ahnte, dass die Menschen des gelben Volkes den Grünmagiern nacheiferten, von denen sie abstammten. Was sie im Inneren des nächsten Ringes erwarten würde, vermochte Anne dennoch nicht zu sagen.
Auch hier wurde Miraj unzählige Male gegrüßt, besonders von den jüngeren Leuten, die vermutlich seine Studenten waren. Allerdings kam es Anne so vor, als sei die Begrüßung beim roten Volk eine Spur herzlicher ausgefallen. Wahrscheinlich hatte sich Miraj nicht gerade beliebt damit gemacht, dass er ihrem Bruder zur Seite stand. Wer ihn aber besonders freundlich grüßte, waren die Frauen jüngeren und mittleren Alters. Offenkundig gab es hier mehrere jetzige oder ehemalige Studentinnen, die gegen eine engere Beziehung mit dem Professor nichts einzuwenden gehabt hätten. Anne konnte sie verstehen – Miraj war höflich, charmant und sah gut aus. Ob er mit einer der Damen tatsächlich näher befreundet war? Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen. Schließlich trauerte er noch immer um Gwynda.
Auch sie selbst traf der ein oder andere prüfende Blick – sei es, dass man sie für eine neue Studentin hielt, oder sich fragte, in welcher Beziehung sie zu Miraj stand. Anne war dies ein wenig unangenehm, zumal sie noch immer das Nachthemd trug, das mittlerweile etliche Löcher und aufgeriebene Stellen aufwies und schrecklich schmutzig aussah. Ob sie wohl später in Mirajs Haus endlich ein Bad nehmen konnte?
Es war bereits Abend, als sie am nächsten Steinkreis ankamen, der nun den Beginn des Universitätsbezirks markierte. Dieser Steinkreis wurde – wie Miraj angekündigt hatte – von zwei Männern bewacht. Anne wurde nun doch ein wenig nervös und fürchtete schon, dass man ihr den Einlass verweigerte. Miraj aber blieb gelassen. „Guten Abend, Faro. Ludar – seid gegrüßt.“ – „Guten Abend, Miraj. Wen habt Ihr denn da bei Euch? Eine neue Studentin?“ – „Ganz genau. Anne, zeig den Herren deinen Smaragd.“ Anne holte den grünen Edelstein hervor und hielt ihn Faro und Ludar
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