Altraterra. Band 1: Die Prophezeiung (German Edition)
die Luft, heraus aus der Schutzzone, vorbei an den verdorrten Pflanzen des Südens jenseits der Schutzzone, vorbei an ihrem zu Staub zerfallenen Hof im Osten. Sie steuerte nach Norden, in die Berge. Dorthin, wo die Schwarzmagier lebten. Sie würde ihre Familie rächen, sie würde Henri befreien. Doch plötzlich hielt sie im Schweben inne. Eine Stimme hatte sie gerufen. Eine Stimme, die klang wie eine süße Symphonie, und Anne musste ihr folgen. Sie zog sie in die entgegengesetzte Richtung, zurück nach Süden. Doch Henri, ihr Vater, ihre Mutter und Gwynda wollten nicht, dass sie fortging. Sie kamen wie eine dunkle Wolkenwand auf Anne zu. „Hast du uns vergessen, Anne? Willst du uns nicht retten? Müssen wir denn für ewig in dieser Verdammnis leben, ohne dass wir gerächt und unsere Mörder zur Strecke gebracht werden? Anne, komm zurück zu uns.“ Ihre schwarzen Nebelschwaden-Hände griffen nach Anne und wollten sie zurückziehen, in den Norden.
Doch etwas in ihr wehrte sich. Sie sprach: „Nein! Lasst mich, ihr lügt. Ihr seid nur ein Trugbild.“ Anne pustete gegen die Nebelschwaden und sie zerfielen zu Staub. Sie wandte sich erneut der süßen Melodie zu, die nach Blumen und leckeren Früchten klang, und Anne folgte ihr gen Süden. Doch ein letztes Mal begehrte der schwarze Staub noch auf und zeigte sich in seiner wahren Gestalt. Es waren die Schwarzmagier. Sie bewarfen Anne mit Fackeln aus magischem Feuer. „Wer bist du, dass du es wagst, dich gegen uns zu stellen?“, riefen sie ihr zu. Doch Anne gab keine Antwort. Sie wehrte die Fackeln ab und schwebte davon, so schnell sie konnte, immer der süßen Melodie hinterher. Sie eilte über die Landschaft, bis diese wieder grün und reich wurde. Sie ließ die Schwarzmagier hinter sich und flog mit der Melodie, bis sie durch ein offenes Fenster in einen Pavillon gelangte, der wie eine Blüte geformt war. Hier stand eine alte Frau, die diese wundervolle Melodie sang. Sie musste viele hundert Jahre alt sein, ihre Haut war faltig und mit Flecken übersät. Doch ihre bernsteinfarbenen Augen waren die eines jungen Mädchens. Die Frau sah Anne voller Staunen an, ihre Augen sprachen von Hoffnung. „Wer bist du, dass du ihnen widerstehen konntest?“, fragte auch die Frau. Da sagte sie: „Ich bin Anne. Isadoras Tochter.“
Anne öffnete die Augen. Die alte Frau war noch immer da, dachte sie zunächst. Aber dann stellte sie fest, dass es Gisalen war. Die dicke Haushälterin saß an ihrem Bett und hielt ihr einen dampfenden Becher hin. „Da, trink, Kind. Du hast uns einen gehörigen Schrecken eingejagt.“ Anne sah, dass Sonnenlicht ins Zimmer drang. „Wie lange war ich – weg?“, fragte sie. Gisalen sah sie erstaunt an. „Nun, weg waren Sie überhaupt nicht“, wechselte sie nun wieder in die höfliche Form. „Aber geschlafen haben Sie wie eine Tote und dabei haben Sie immer nach ihrer Mutter geschrien. Und das ganze drei Tage lang.“ Anne erschrak. Drei Tage? „Und wo ist Miraj?“, erkundigte sie sich. „Nun, der Herr wollte gar nicht fort, nachdem Sie sich so an seine Hand geklammert haben. Er hat sich die letzten zwei Tage freigenommen, doch heute musste er dringend zu einer Prüfung. Er ist erst vor einer Stunde gegangen, als wir sahen, dass Sie wieder ruhig atmeten und aufgehört haben zu rufen.“ In dem Moment ging die Tür auf und Silvia brachte eine Schale mit herrlich duftender Suppe. „Anne, wie schön, dass du wach bist! Wir waren ja so in Sorge.“ Anne war noch immer verwirrt. „Wo kam die Melodie her?“ fragte sie. „Und wer war die Frau?“ Silvia und Gisalen sahen sich hilflos an. „Hier war keine Melodie und niemand anderer als wir beide und Miraj“, sagte sie und musterte Anne. „Sicher hast du nur geträumt.“
Nachdem Anne verwirrt ihre restliche Suppe ausgelöffelt hatte, verabschiedete sich Gisalen. „Kommen Sie mich bald besuchen, aber sehen Sie zu, dass Sie Frau Silvia nicht mehr solche Scherereien machen.“ Mirajs Mutter aber setzte sich zu Anne ans Bett. „Möchtest du darüber reden, was du in deinen Träumen gesehen hast?“, fragte sie behutsam. Anne fing an zu weinen. „Da waren mein Vater und meine Mutter und Henri und Gwynda. Und sie alle baten mich, sie zu rächen. Und die Schwarzmagier waren hinter mir her“, schluchzte Anne. Silvia streichelte sie, bis sie sich wieder beruhigt hatte. „Es war alles ein bisschen zu viel für dich. Der Vater getötet, der Bruder entführt und dann so eine anstrengende Reise. Aber
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