Altraterra. Band 1: Die Prophezeiung (German Edition)
den Weg von Silvias Haus an die Universität zu Miraj so schnell schaffen können? Anne vermutete, dass auch hier Zauber im Spiel gewesen war.
Sie passierte die Wachen ungehindert und bald tauchte die Universität am Horizont auf. Als Anne das Haupttor von Scientia erreichte, sprang sie vom Pferd und band Blizzard an einen Zaun. „Warte hier schön auf mich“, flüsterte sie dem Hengst zu. Dann betrat sie die Universität. Sie hatte sich Sorgen gemacht, dass sie wie beim ersten Mal auffallen würde. Doch da es ein gewöhnlicher Wochentag war, schien die Universität geradezu übersät mit Studenten, die allein oder in der Gruppe durch die Flure bummelten, auf den Treppen saßen und in der Bibliothek lernten. Selbst Fräulein Cassandra nickte Anne beim Betreten des Saales nur kurz zu und versteckte sich dann hinter einem Buch. Anscheinend hatte die peinliche Begegnung auch bei ihr Spuren hinterlassen.
So konnte sich Anne diesmal in Ruhe umsehen. Als Erstes ging sie zurück in jene Abteilung, in der sie bei ihrem vorigen Aufenthalt in der Bibliothek bereits gewesen war, und nahm „Die Prophezeiung von Altraterra“ aus dem Regal – diesmal sorgfältig darauf bedacht, keine anderen Bücher hinunterzuwerfen. Sie war schon gespannt darauf, endlich die ganze Wahrheit über jene mysteriöse Prophezeiung zu erfahren, die ihren Bruder betraf. Ganz in der Nähe des Buches fand sie auch einen Lehrband über magische Pferde und in der Nachbarreihe etwas über die Kräfte der Schwarzmagier. Zwei Regale weiter standen mehrere Bände über Träume und Visionen. Anne entschied sich für „Leben im Traum“, das laut Klappentext ein Standardwerk war.
Weit schwieriger war es, mehr über INVISIBEL herauszufinden. Die Abteilung für Zaubersprüche erstreckte sich über zwei Stockwerke, die über eine Treppe im inneren Saal erreichbar waren, und Anne hatte keine Ahnung, unter welcher Kategorie sie suchen sollte. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als alle Bände nacheinander herauszunehmen, die vom Titel her irgendwie infrage kamen. Sie seufzte – das konnte eine Weile dauern.
Als sie gerade eifrig durch „Magie für Fortgeschrittene – zauberhafte Zauber“ blätterte, hörte sie eine Stimme an ihrem linken Ohr. „Na, welchen Jüngling willst du denn bezirzen?“ Anne schrak zusammen und drehte sich um. Jamiro stand vor ihr und grinste von einem Ohr zum anderen. „Bezirzen?“, fragte Anne. „Ich weiß nicht. Ich suche eigentlich etwas über Zaubersprüche zum Unsichtbar-Machen.“ Jamiro nickte. „INVISIBEL, häh? Da bist du hier aber ganz falsch. Das ist ein Buch über Liebeszauber.“ Dann grinste er: „Es ist doch immer dasselbe. Wenn man euch Mädchen mit solchen Büchern erwischt, habt ihr natürlich nach etwas ganz anderem gesucht.“ Anne sah ihn empört an. „Glaub mir, ich habe Besseres zu tun, als eine ganze Abteilung nach einem Buch über Liebeszauber abzusuchen. Ich muss etwas über INVISIBEL finden und ich habe keine Zeit, mir dumme Sprüche anzuhören.“
Jamiro grinste noch immer. „Na, es muss jedenfalls enorm wichtig für dich sein, das Buch zu finden. Wenn du sogar im Nachthemd in die Bibliothek kommst und dich dafür mit Fräulein Cassandra anlegst.“ Anne wurde rot. „Du hast mich gesehen?“ – „Na, bei dem Aufruhr, den du verursacht hast, wäre es schwer gewesen, dich nicht zu sehen.“ Anne wollte am liebsten im Boden versinken. Wie peinlich! Doch Jamiro packte sie am Arm. „Schon gut“, lenkte er ein. „Wofür brauchst du es denn? Ein Aufsatz über die Universität? Professor Kornbich, hmm?“ Anne hatte keine Ahnung, um wen oder was es ging, aber sie antwortete: „Ja, ganz genau. Kannst du mir helfen, es zu finden?“ Jamiro lächelte selbstgefällig. „Kein Problem. Komm mit.“
Jamiro ging voraus, ein Stockwerk höher. Hier war es deutlich leerer als unten, wo die Schreibpulte standen. Anne fing gerade an, sich Sorgen zu machen, weil sie hier mit einem fremden jungen Mann völlig allein stand, als Jamiro sagte: „Hier haben wir es ja. Eine ganze Abteilung über Zauber zum Verbergen, Verstecken und Verschwindenlassen. Hier sollte etwas über INVISIBEL stehen.“ Jamiro nahm einen Band mit dem Titel „Was geheim ist, bleibt geheim“ vom Regal und reichte es Anne. „Brauchst du auch noch etwas über die Universität?“ – „Ja, natürlich“, log sie.
Eine halbe Stunde später trug sie drei weitere Bände, von denen Jamiro meinte, dass sie für Annes Aufsatz relevant
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