Alvion - Vorzeichen (German Edition)
seit der Landung der meridianischen Streitkräfte in Septrion war noch nicht allzu viel Zeit vergangen und es war beängstigend, mit welcher Geschwindigkeit sie bisher vorgerückt waren. Noch war Sommer, der Monat Tors gerade einmal zur Hälfte herum, sodass dem Feind noch viel Zeit bleiben würde, vom Wetter unbehindert Krieg zu führen, aber dazu musste es erst einmal kommen. Immer noch hofften die Argion, dass es ihnen gelingen würde, den Angriffen standzuhalten. Für den Fall aber, dass die Invasion glückte, stand außer Frage, wer in den Wäldern den größeren Vorteil haben würde, nämlich die kleinen Verbände der Argion, die sich in vertrautem Gelände bewegen konnten und ihre Verstecke und geheimen Wege bestens kannten.
Molaars Feldherren dagegen würden ihre Armee in den Wäldern nur mit großen Mühen versorgen können und Nahrungsmangel gepaart mit ständigen, blitzartigen Überfällen der Argion sollten der ganzen Unternehmung einen so hohen Blutzoll abverlangen, dass sie schließlich aufgegeben werden musste. So jedenfalls sahen die Hoffnungen aus, die die Argion hegten. Wenn es ihnen aber nicht gelang, den Meridianern den Zutritt nach Argion bis zum Winter zu verwehren, wären die Truppen Meridias wenigstens in endlose, verlustreiche Gefechte in den Wäldern verwickelt. Ständige Überfälle aus dem Hinterhalt, blitzschnelle Rückzüge und fortwährend neue Hindernisse vor sich, befänden sich Kragier, Naraanier, Tepile und Skonen in einer äußerst unangenehmen Lage, die sie irgendwann zermürben müsste. Und der Winter, der in Argion stets sehr kalt und immens schneereich war, würde sein Übriges dazu tun. Doch der Herbst, der hier oben im Norden üblicherweise Kälte mit sich brachte und Bäume und Wiesen allmorgendlich mit einem frostigen Leichentuch überzog, lag noch in weiter Ferne und sollte er zu mild ausfallen, wie es auch gelegentlich vorkam, konnten sich die Meridianer durchaus noch in Argion festsetzen. Alles Grübeln half nun nicht mehr weiter, denn die machbaren Vorbereitungen waren abgeschlossen, geheime Verstecke und Depots, tief in den Wäldern versteckt, waren angelegt und ausgerüstet worden, die alten Geheimpfade neu ausgetreten und die einzige feste Straße fast auf ihrer gesamten Länge zerstört, unterhöhlt oder blockiert worden. Mittlerweile konnten die Argion nur noch warten und es war spürbar, wie dieses Warten an den Nerven jedes Einzelnen zerrte. Oftmals kam es zu kleinen Streitigkeiten, in denen sich die große Anspannung entlud, auch Tian bemerkte dies, wenn er mit anderen den Schwertkampf übte und so verbissen kämpfte, dass er mehrmals sein Gegenüber beinahe verletzte und sich erst im letzten Moment zügelte. Immer wenn er die allgegenwärtige Anspannung wahrnahm, fühlte sich Tian an einen Topf mit kochendem Wasser erinnert, dem man den Deckel abnehmen musste, bevor er überkochte. Sie wurde immer greifbarer, das zeigte sich schon durch ein verbissenes Schweigen, das sich breitgemacht hatte und nur noch gelegentlich von kurzen Gesprächen unterborchen wurde, die zudem kaum noch Alltägliches zum Inhalt hatten. Als der lang erwartete Angriff schließlich erfolgte, wünschte sich ausnahmslos jeder die zermürbende aber ruhige Zeit des Wartens zurück. Anfänglich schien fast so etwas wie Erleichterung zu herrschen, dass nun endlich die Zeit des fast untätigen Wartens ein Ende hatte. Doch diese Erleichterung währte nicht lange.
Tian hatte tagsüber mehrere Stunden Wache gehalten und dann ein ruhiges Fleckchen gesucht, sich auf eine breite Baumwurzel gesetzt und wieder damit begonnen, die Zeit mit Nachdenken totzuschlagen. Lange hatte er so da gesessen und hatte nicht einmal mitbekommen, dass sich die Nacht allmählich ankündigte. Es war eine dieser, in Argion eher seltenen Sommernächte, in denen es kaum merklich abkühlte. Ihm war lediglich irgendwann aufgefallen, dass er im Dunkeln saß. Um ihn herum im Wald brannten kleine Lagerfeuer, an denen, fast überall schweigend, Gruppen seiner Landsleute saßen, und in die Flammen starrten.
Völlig unvermittelt traf ihn eine heftige Böe und riss ihn von seinem Sitzplatz zu Boden. Verwirrt rappelte sich Tian auf Hände und Knie, denn nichts hatte dies vorher angekündigt. Normalerweise baute sich ein Sturm mit kleinen Windstößen langsam auf, fast, als müsse die Natur ein paar Mal tief Luft holen, um mit zunächst noch vereinzelten, dann immer beständiger und heftiger werdenden Schüben zuzuschlagen, doch
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