Alvion - Vorzeichen (German Edition)
schienen meine Augenlider bleiern schwer zu werden. Leicht vorwurfsvoll blickte ich sie noch einmal an, ehe ich nicht mehr die Kraft hatte, meine Augen offen zu halten, doch sie lächelte nur sanft und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Im nächsten Moment war ich bereits eingeschlafen.
Langsam, unendlich langsam, fühlte ich während der folgenden Wochen, wie die schwere Verletzung heilte und die Schmerzen Stück für Stück nachließen. Ich war klug genug einzusehen, dass es einige Zeit in Anspruch nehmen würde, ehe ich daran denken konnte, wieder ein halbwegs normales Leben zu führen oder gar zu kämpfen, doch die kleinen Fortschritte und Salinas Liebe ließen mich diese lange Zeit geduldig ertragen. Außerdem schlief ich ohnehin meistens, was ich nicht nur auf meinen Zustand, sondern auch auf Salinas verborgenes Wirken zurückführte. Doch jedes Mal, wenn ich erwachte, war sie da. Von früh bis spät widmete sie sich nur meiner Pflege und abends legte sie sich zu mir und war immer schon auf, wenn ich morgens wieder erwachte.
Eines Abends konnte ich nicht einschlafen, zum einen, weil ich wieder fast den ganzen Tag verschlafen hatte, zum anderen, weil mich meine Gedanken nicht losließen. Zunächst dachte ich über die Ereignisse der letzten Wochen nach und das unglaubliche Glück, das mir zuteilgeworden war, dann stiegen alptraumhafte Bilder auf, von denen ich mittlerweile schon viel zu viele mit mir herumschleppte. Salina hatte ein untrügliches Gespür und merkte sofort, dass ich noch wach war. Ich fühlte ihre zarte Hand auf meiner Wange und dann durch mein Haar streichen.
„ Du hast damals fast ins Schwarze getroffen, Salina!“
Ich wunderte mich selbst über jene Worte, die mir vorkamen, als hätte nicht ich, sondern irgendjemand anders sie ausgesprochen. Sie richtete sich halb auf und drehte sich zu mir herüber. Gleich darauf entflammte die Kerze neben dem Bett und ich blickte in ihr schönes, fragendes Gesicht.
„ Was meinst du, Alvion? Wann?“
„ Direkt, nachdem Damas versucht hatte, dich zu töten. Weißt du noch, was du danach zu mir gesagt hast?“
Sie schien es in die falsche Richtung zu deuten und als Vorwurf aufzufassen.
„ Alvion, ich war verwirrt und hatte so etwas noch nie erlebt, also habe ich einfach …“
Dann stockte sie mitten im Satz, wohl in dem Moment, als ihr einfiel, mit welcher Bemerkung ich das Gespräch begonnen hatte. Ihre Augen weiteten sich ungläubig.
„ Alyra?“, flüsterte sie schließlich. Ich nickte nur zur Antwort, denn es fühlte sich auf einmal wieder an, als wäre alles erst am Tag zuvor geschehen. „Du musst noch ein Kind gewesen sein.“ Wieder nickte ich zunächst nur, ehe ich antwortete:
„ Ich war zwölf Jahre alt!“, murmelte ich leise.
Tränen schimmerten in ihren Augen, als sie langsam wieder ihre Hand ausstreckte und von Neuem begann, mein Gesicht zu streicheln.
„ Noch nie habe ich traurigere Augen gesehen, als deine gerade jetzt, in diesem Moment! Was ist damals geschehen?“
In dieser Nacht erzählte ich Salina die ganze Geschichte von meiner Herkunft, dem Untergang meiner Heimat und den späteren trostlosen Jahren des einsamen Heranwachsens. Doch anders als damals, als ich es Tian erzählt hatte, fühlte ich dieses Mal nicht nur Erleichterung, sondern fand in Salinas Umarmung tatsächlich ein erstes Mal wirklichen Trost.
„ Ich liebe dich, schöne Zauberin!“, waren meine letzten Worte, bevor ich schließlich einschlief. Es war das erste Mal, dass ich es zu ihr sagte.
Salina aber lag wach und war viel zu aufgewühlt, um zu schlafen. Alvions Schmerz hatte ihren eigenen wachgerufen, nur dass sie sich nicht mehr an ihre Eltern erinnern konnte, während sie bei Alvions Erzählung gespürt hatte, dass er die damaligen Erlebnisse nicht nur erzählte, sondern von Neuem durchlitt.
Gleichzeitig erinnerte sie sich an ein Gespräch mit Zelio, dass sie damals nach der Zusammenkunft der Magier geführt hatten. Mit ihren zehn Jahren war sie eigentlich noch zu jung für die Wanderlehre der Magier gewesen, doch nach dem Tod ihrer Eltern gab es keine Verwandten mehr, die sie hätten aufziehen können und die Verhältnisse in dem Waisenhaus, das sie damals aufgenommen hatte, missfielen Zelio zutiefst. So hatte er sie vier Jahre früher als üblich in seine Obhut genommen und sie schnell über den Status der Schülerin hinaus als seine Tochter betrachtet.
Schweigend hatte sie damals neben Zelio gestanden und ebenso wie er auf
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