Alvion - Vorzeichen (German Edition)
Frühlingswärme einer empfindlich kühlen Nacht weichen und diese wollte er doch lieber im Warmen verbringen. Es würde noch einige Zeit dauern, ehe der Sommer wirklich Einzug hielt und sich auch nachts nicht mehr verdrängen ließ. Langsam ließ er sein Pferd weiter traben und dachte an die zurückliegenden Monate, die er bei seiner Familie im tiefsten Winter in Argion verbracht hatte. Die langen Gespräche mit seinem Vater und seinem Bruder abends am Feuer, das Jagen und Holz sammeln in den Wäldern und das Spielen mit den kleinen Kindern seines Bruders. Er hatte diese Monate genossen, doch nun gelüstete es ihn nach neuen Abenteuern in den unendlich weiten Ländern Septrions.
Etwa eine Stunde später hielt er nochmals kurz an und blickte auf die gewaltige Stadtmauer, die Vylaan umgab. Sie war mindestens dreißig Schritt hoch und fast ebenso dick, mit einem breiten Wehrgang darauf. Durch diese Mauern waren dem Wachstum der Stadt natürlich Grenzen gesetzt, die bereits vor langer Zeit erreicht worden waren. Daher umgab ein ganzer Ring von nicht gerade kleinen Dörfern und Städtchen die Hauptstadt Soliens in weitem Umkreis. Zählte man diese Dörfer und Städtchen hinzu, so kam Vylaan auf eine Zahl von etwa dreihunderttausend Einwohnern, was es zur größten Stadt Velias machte.
Oben auf den Zinnen der Mauern standen die Soldaten der königlichen Garde, deren einzige Aufgabe die Verteidigung der solischen Hauptstadt war. Sie allein umfasste zehntausend Mann, hatte also selbst die Stärke einer Garnison, zusätzlich dazu gab es in Vylaan noch zwei Armeegarnisonen und die Akademie zur Ausbildung der Offiziere.
Obwohl die Mauern so gewaltig waren, konnte Tian auch nahe davor die riesigen Wachtürme und einige besonders hohe Gebäude der Stadt erkennen. Vylaan war eine gewaltige Stadt, mit der sich keine andere Stadt Velias messen konnte, weder an Reichtum, noch an Stärke, vor allem nicht seit König Melior die Geschicke Velias in die Hand genommen und das Reich zu neuem Wohlstand geführt hatte. Selbst die königliche Palastanlage war von Tians Standort aus zu erkennen, weil sie auf einer Erhebung inmitten der Stadt lag. Eine starke Mauer lag noch einmal im Inneren der Stadt um die Palastanlagen des Königs herum, die sich im südwestlichen Teil der Stadt befand. Langsam ritt Tian durch das riesige Osttor in die Stadt hinein auf die breite, zentrale Straße, die die Stadt von Ost nach West durchzog.
Die ersten Gebäudereihen der Stadt standen hundert Schritt hinter der Mauer, auf dem freien Raum dazwischen waren die Sammelpunkte der Soldaten und die Standorte der riesigen Katapulte und Schleudern zur Abwehr von Belagerungen. Die Straße führte auf einen der großen Plätze der Stadt und war nur von prächtigen, mehrstöckigen Häusern gesäumt. Dies war sogar gesetzlich vorgeschrieben. An dieser Straße durfte nur wohnen, wer zu repräsentieren verstand. Während Tian weiter in die Stadt vordrang, wurde er, wie jedes Mal, von ihrer Größe und Pracht überwältigt, die die Hauptstadt seiner Heimat, Theban, noch übertrafen. Er überquerte den riesigen Platz vor der großen Akademie der Stadt und blickte auf die goldenen Statuen der großen Weisen Soliens, die um den Platz herum standen. Sein Blick schweifte nach links auf das Gebäude der wissenschaftlichen Akademie, mehrstöckig, mit den prächtigen Reliefs an den Wänden und dem breiten, von gewaltigen Säulen gestützten Eingangstor. Hinter diesem Tor befanden sich die geistigen Schätze Soliens, die Gebäude der verschiedenen Fachbereiche, wo die besten Gelehrten Septrions unterrichteten und das Archiv von Vylaan, die größte Sammlung von Wissen in ganz Velia, mit abertausenden uralten, unermesslich kostbaren Dokumenten, deren Anblick jedoch nur wenigen Erwählten gewährt wurde. Für alle Übrigen gab es frei einsehbare Abschriften davon in den Bibliotheken des ganzen Landes. Schon von diesem Platz aus konnte Tian auch die Kuppel des Ratsgebäudes sehen, welches noch viel weiter innerhalb der Stadt lag. Er fühlte sich wie erschlagen oder betäubt und dachte an den Ruf, den Soliens Hauptstadt überall zu Recht genoss. Wer wahre Größe und Pracht sehen wollte, wer die weisesten Männer Soliens treffen wollte, wer die reichhaltigsten Märkte erkunden und die reichsten Händler Soliens treffen wollte, der musste nach Vylaan kommen!
Immer noch benommen von dem Eindruck, den die in der Abenddämmerung schimmernde Stadt auf ihn gemacht hatte, ritt Tian
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