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Am Anfang eines neuen Tages

Am Anfang eines neuen Tages

Titel: Am Anfang eines neuen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Austin
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einen Schauer über den Rücken.“ Sie beugte sich wieder über ihre Handarbeit.
    „Es ist überhaupt nicht künstlich! Wie willst du denn sonst Verehrern begegnen, wenn niemand die Initiative ergreift und es arrangiert?“
    „Hast du Daddy auch so kennengelernt?“, fragte Mary. „Bei einem Tanz?“
    „Ja. Ich wohnte in Richmond, wie ihr wisst, aber die Entfernung war für Philip kein Hindernis. Wir hatten uns bei mehreren Veranstaltungen gesehen, also wusste ich, wer er war, aber ich hatte damals einen anderen Verehrer. Dann luden Philips Eltern mich hierher zu einem Ball ein, der genau in diesem Salon stattfand. Meine Schwester Olivia war auch dabei. Die Schlafzimmer waren voller Gäste von außerhalb.“
    „Ich weiß noch, dass es vor dem Krieg immer so war“, sagte Mary. „Ich habe so gerne zugesehen, wie die Damen ihre eleganten Kleider anzogen – wie Prinzessinnen. Und am liebsten habe ich den Paaren beim Tanzen zugesehen.“
    „Dein Vater war ein hervorragender Tänzer und bei dem Ball seiner Eltern an jenem Abend hat er nur mit mir getanzt. Er ließ sich von keinem anderen auch nur einen einzigen Walzer nehmen. Wir haben die ganze Zeit geredet, nicht über bedeutungslose Dinge, wie man es mir beigebracht hatte, sondern es war eine ernsthafte Unterhaltung. Er war ganz anders als die anderen Männer, die ich kannte. Er hat mich wie … wie eine Freundin behandelt, was natürlich unerhört war.“ Eugenia lächelte, während ihre Gedanken zu dem Abend zurückwanderten.
    „Ich erinnere mich noch an das üppige Abendessen, das eure Großmutter aufgetischt hat, und im Speisezimmer waren Tische für Dutzende Personen gedeckt. So hat man das früher gemacht. Bei jedem Ball gab es auch ein Diner. Philip hatte die Tischkarten vertauscht, sodass ich neben ihm saß. Auch das war alles andere als üblich. Die Sitzordnung war sorgfältig überlegt worden und Philips Mutter war sehr ungehalten. Aber niemand konnte Philip lange böse sein. Ihr wisst ja, wie charmant er war. Er war die Personifizierung von Südstaatenmanieren, als hätte er das Wort Gentleman erfunden.“
    Sie hielt inne, um die plötzlich aufwallende Trauer zu unterdrücken, und blickte auf die früher so hübsche Terrasse hinaus. Unkraut spross aus den Ritzen zwischen den Steinplatten und war so hoch und dicht gewachsen, dass man die Steine kaum noch sehen konnte. Hohe Säulen hatten an einer Seite des Platzes ein Lattendach und Glyzinienranken gestützt, aber die Kletterpflanzen waren verwildert und voller toter Zweige. Sie erinnerte sich daran, wie die Blüten die Terrasse mit ihrem süßlichen Duft erfüllt hatten. Die Steinbänke, auf denen die Leute zwischen den Tänzen gesessen hatten, waren jetzt zu dreckig, um darauf Platz zu nehmen, und die niedrige Balustrade um die Terrasse herum brauchte einen neuen Anstrich. Als sie daran dachte, wie das alles in jener Nacht vor so langer Zeit ausgesehen hatte, kamen Eugenia die Tränen. Sie wandte sich wieder ihren Töchtern zu. „An dem Abend hat euer Vater mich gebeten, seine Frau zu werden.“
    „Und du hast Ja gesagt!“ Marys dunkle Augen leuchteten.
    „Natürlich! Ein so attraktiver, charmanter Mann, ein so wundervolles Zuhause – er hat mich im Sturm erobert.“
    Es gab Dinge, die Eugenia ihren Töchtern nicht zu erzählen wagte. Als die Party sich dem Ende zuneigte und die benachbarten Plantagenbesitzer nach Hause gingen, hatte Philip sie beiseitegezogen. „Komm zu mir auf die Terrasse, wenn die anderen schlafen“, hatte er geflüstert.
    Eugenia hatte nicht geantwortet. Es war eine skandalöse Bitte. Aber sie musste immerzu an ihn denken, als sie sich nach oben in die Gästezimmer zurückzog, in denen sie und die anderen jungen Leute von außerhalb übernachteten. Philip gab ihr ein Gefühl, das kein anderer Mann ihr jemals gegeben hatte – er ließ ihren Atem stocken und jeden Muskel und jede Faser ihres Körpers kribbeln, als wäre ihre Haut zu klein geworden. Es war ihr wie eine Tortur erschienen, so keusch auf Armlänge gehalten zu werden, während sie getanzt hatten. Wie würde es sich anfühlen, eng umschlungen zu werden, seine Hand ohne Handschuhe zu halten, seine Haut zu berühren? Bei solch verruchten Gedanken war es ihr plötzlich erschienen, als wäre ihr Korsett zu eng geschnürt.
    Die Sklavinnen waren Eugenia und den anderen Mädchen nach oben gefolgt, um ihnen beim Ablegen von Schmuck, Ballkleidern, Korsetts und Reifröcken behilflich zu sein. Die Mädchen würden in

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