Am Anfang eines neuen Tages
hatten.
„Mit der Kutsche sind es nur ein paar Minuten“, sagte Otis. „Ich nehme an, zu Fuß werden wir eine knappe Stunde brauchen.“ Es dauerte nicht lange, bis sie an dem Wald vorbeikamen, in dem sich das Lager der ehemaligen Sklaven befand, und dann kamen sie zu dem weißen Haus einer Plantage, die White Oak sehr ähnlich sah – nur kleiner, mit hohen Säulen und einer breiten Veranda.
„Hier wohnt Miz Eugenias Freundin Miz Blake“, sagte Otis. „Wenn wir Häuser sehen, die richtig dicht nebeneinanderstehen, dann sind wir im Ort.“ Und siehe da, schon bald tauchten auf beiden Straßenseiten Häuser auf und sie standen beinahe so dicht beieinander wie die Hütten in der Sklavensiedlung. Otis zeigte auf ein hübsches weißes Gebäude mit einem hohen, spitzen Turm obendrauf. „Das da ist die Kirche, in die die Weatherlys sonntags gehen.“
Lizzie sah immer mehr Häuser und dann eine lange Reihe Geschäfte mit großen Schaufenstern. Weiße und Schwarze liefen herum oder fuhren in Kutschen, aber sie blieb stehen, als sie eine Gruppe Yankeesoldaten an einer Straßenecke sah. „Sie sehen genau wie die Soldaten aus, die im großen Haus gewohnt haben, nachdem du und Miz Eugenia weg wart.“
„Wir brauchen keine Angst vor ihnen zu haben, Lizzie. Die Yankees in Richmond haben uns sehr gut behandelt. Und wenn sie nicht die Feuer gelöscht hätten, wäre die ganze Stadt abgebrannt. Sie haben uns auch zu essen gegeben. Ich glaube, wir können ihnen trauen.“
Schließlich kamen sie in einen schmutzigeren Teil der Stadt mit he-runtergekommenen Hütten und Lagerhäusern und dem Bahnhof. „Ich glaube, das kleine Steingebäude da drüben ist das, von dem Saul gesprochen hat“, sagte Otis. „Komm.“
Die Eingangstür stand offen und so sahen sie, dass im Inneren des Hauses ein junger Yankeesoldat an einem Schreibtisch saß. Lizzie und Otis waren erfahren genug, um nicht durch den Haupteingang einzutreten, also gingen sie um das Gebäude herum und klopften an die Hintertür. Einen Augenblick später öffnete derselbe Mann ihnen.
„Kann ich Ihnen helfen?“
Otis nahm seinen Hut ab und verbeugte sich ein wenig. „Guten Abend, Sir. Wir suchen den Yankee, der den Sklaven hilft. Ist dies das Amt für Freigelassene?“ Er sprach die Bezeichnung zögernd aus, als wären ihm die Worte nicht so recht vertraut.
„Ja. Da sind Sie bei mir richtig. Ich bin Alexander Chandler.“
Lizzie starrte den Mann an, als er ihnen die Hand reichte. Als keiner von ihnen sie ergriff, ließ er den Arm wieder sinken. Mr Chandler sah viel zu jung aus, um so einen wichtigen Regierungsposten innezuhaben. Er war groß und dünn und anstelle eines Vollbarts trug er buschige Koteletten auf beiden Seiten seines Gesichts, aber keine Haare an Kinn oder Oberlippe.
Er lächelte und seine blauen Augen wirkten freundlich. „Was kann ich für Sie tun?“
„Sir, ich heiße Otis und das hier ist meine Frau Lizzie.“ Lizzie merkte, dass Otis nervös war. Sie war es auch.
„Schön, Sie beide kennenzulernen. Kommen Sie rein. Und wissen Sie, Sie brauchen nicht den Hintereingang zu benutzen. Kommen Sie das nächste Mal einfach durch die vordere Tür herein.“ Er führte sie durch einen dunklen Raum voller Kisten in das Büro im vorderen Teil des Gebäudes. Der große Schreibtisch, auf dem sich Papierberge stapelten, nahm den größten Teil des Raumes ein. „Wissen Sie, das hier ist eigentlich Ihr Amt“, sagte er.
„ Mein Amt?“, wiederholte Lizzie. Wozu in aller Welt brauchte sie ein Amt?
„Ja. Es wurde eingerichtet, um den Freigelassenen zu helfen, so wie Sie es sind. Setzen Sie sich.“ Vor seinem Schreibtisch standen zwei Stühle, aber weder Lizzie noch Otis wagte es, sich daraufzusetzen.
„Entschuldigen Sie, Sir“, sagte Otis, „aber ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht mit einem weißen Mann zusammengesessen. Es ist nicht erlaubt.“
„Ich verstehe.“ Mr Chandler nickte und blieb ebenfalls stehen. „Wo wohnen Sie denn?“
„Wir gehören zu einer der Plantagen kurz hinter der Stadt. Sie heißt White Oak.“
„Sie meinen, Sie gehörten zu der Plantage“, sagte Mr Chandler lächelnd.
„Ja, Sir. Aber wir arbeiten und leben immer noch da, auch wenn alle anderen gegangen sind. Mein Bruder Saul sagt, wir sollen mit Ihnen sprechen. Er sagt, wir sollen hören, was Sie zu sagen haben.“
„Ich bin froh, dass Sie hergekommen sind. Wir wissen, dass es eine Menge Freigelassene wie Sie gibt, die sich fragen, was sie tun und
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