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Am Anfang eines neuen Tages

Am Anfang eines neuen Tages

Titel: Am Anfang eines neuen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Austin
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vor ihrer Hütte und sah zu, wie Otis die beiden Fische, die sie gefangen hatten, ausnahm. Überall flogen Fischschuppen herum, während er die Haut schabte, und er hatte Rufus ein kleines Messer gegeben, damit er auch lernen konnte, wie man das machte. Lizzie genoss die Sonne und den Anblick ihrer Lieben, die gemeinsam lachten und redeten. Sie glaubte nicht, dass sie noch viel glücklicher sein könnte, und als sie aufblickte und Roselle den kleinen Hügel hinunter auf sich zukommen sah, musste Lizzie unwillkürlich lächeln.
    „Hallo, Roselle! Hallo!“, sagte sie und winkte ihr zu. Sie wäre am liebsten aufgesprungen und hätte ihre Tochter umarmt, aber sie hatte ihren mütterlichen Instinkt so viele Jahre im Zaum gehalten, weil sie Angst gehabt hatte, ihre Tochter zu lieben und sie dann zu verlieren, dass sie immer noch in dieser Angst gefangen war.
    „Haben sie dir auch den Tag freigegeben?“, fragte Lizzie.
    Roselle nickte. „Missy Jo hat zu mir gesagt, ich kann nach Hause gehen und euch besuchen.“ Roselle hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Diese Geste hatte sie von Lizzie gelernt und auch sie hielt ihre Gefühle im Zaum, weil sie Angst hatte, ihre Liebe zu zeigen.
    „Wie geht es allen dort drüben?“, fragte Otis.
    „Gut. Ich arbeite gerne für Missy Josephine. Sie ist wirklich nett zu mir. Aber der Massa ist eine gemeine Klapperschlange. Missy Jo sagt, ich soll mich von ihm fernhalten.“
    Otis unterbrach seine Arbeit und blickte zu Roselle auf. „Ich hoffe, du gehst noch jeden Tag in die Schule.“
    Roselle verdrehte die Augen. „Ja, mache ich. Ich finde die Schule gut.“
    Lizzie wusste, dass sie die Wahrheit sagte, weil sie Rufus und Jack jedes Mal über ihre Schwester ausgefragt hatte, wenn sie aus der Schule nach Hause kamen. Lizzie konnte noch immer kaum glauben, dass ihre Kinder lesen und schreiben lernten. Es schien einfach unmöglich zu sein. Sie hatte von Sklaven gehört, die ausgepeitscht und in den tiefsten Süden verkauft worden waren, weil sie solche Dinge gelernt hatten, und deshalb hatte Lizzie nie gewagt, es auch nur in Erwägung zu ziehen. Aber es hatte den Anschein, als würde immer, wenn sie über etwas glücklich war, zum Beispiel darüber, dass ihre Kinder in die Schule gingen, etwas Schlimmes geschehen, sodass sie wieder die Hoffnung verlor. Diesmal war es die Erinnerung daran, dass sie schwanger war, und an all die Ängste und den Kummer, der mit noch einem Kind kam, das man liebte. Roselle wirkte ausnahmsweise glücklich, aber Lizzie wusste, dass sie ihr dieses Glück verderben musste.
    „Es tut mir leid, Roselle, aber du musst Missy Jo sagen, dass du nicht mehr für sie arbeiten kannst.“
    „Was? Warum?“ So viel Zorn in diesen beiden Wörtern.
    „Weil du zurückkommen und mir helfen musst.“
    „Nein! Ich will nicht! Ich hasse es, für Miz Eugenia zu arbeiten, die ständig das Kinn in die Höhe reckt. Wenn du mich zwingst zurückzukommen, werde ich … dann werde ich weglaufen!“
    Lizzie sprang von der Treppe und ihr Temperament flammte auf. „Du denkst immer nur an dich selbst, Roselle! Du sagst Nein und drohst damit wegzulaufen, bevor du überhaupt gefragt hast, warum ich deine Hilfe brauche.“ Lizzie drehte sich um und stapfte davon, immer die Sklavenstraße hinunter, um ihrem Ärger Luft zu machen, wie ein Topf, der gerade übergekocht ist.
    Alle Hütten standen leer, außer der, in der sie mit ihrer Familie wohnte, sodass die Sklavensiedlung trostlos wirkte. Einige der Türen standen offen, und als Lizzie an ihnen vorbeiging, sah sie abgezogene Betten, einen Tisch und Stühle: Dinge, die zu schwer gewesen waren, um sie mitzunehmen, als alle weggegangen waren. Nach der letzten Hütte kamen die leeren Baumwollfelder und der große Holzschuppen, in dem die Baumwollballen gelagert wurden. Lizzie setzte sich auf die Stufen eines kleineren Schuppens, in dem sie Tabak getrocknet hatten, als Massa Philip noch gelebt hatte, und sobald die anderen sie nicht mehr sehen konnten, fing sie an zu weinen. Diesmal war an ihren Tränen nicht das Baby schuld, sondern Roselles Drohung wegzulaufen. Seit ihre Tochter geboren worden war, hatte Lizzie sich Sorgen gemacht, dass der Massa sie verkaufen würde, und jetzt drohte Roselle selbst damit, zu gehen. Lizzies Herz blutete von dem Versuch, ihre Kinder festzuhalten und sie gleichzeitig nicht zu sehr an sich zu binden.
    Einige Minuten vergingen, bis sie schlurfende Schritte auf dem Weg vernahm. Sie blickte auf, in der

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