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Am Anfang war das Wort

Am Anfang war das Wort

Titel: Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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weiß nicht ... Ach, machen Sie doch, was Sie wollen.«
    Michael ging schweigend hinter ihm her. Sie stiegen eine enge Treppe hinunter ins nächste Stockwerk und liefen einen breiteren Flur entlang. Immer wieder tauchten völlig unerwartet Türen auf, und Michael stellte sich vor, daß sie in enge Kammern führten, aber die Tür, die Tuwja Schaj öffnete, brachte sie in einen hellen, fünfeckigen Raum, in dem eine Gruppe von Studenten saß und wartete. Ein Gemurmel erhob sich, als die Tür aufging, die Studenten starrten Michael einen Moment an, neugierig und – so schien es ihm – auch ängstlich.
    Fünfzehn Personen zählte Michael, die meisten junge Frauen, zwei von ihnen trugen Kopftücher, und eine hatte die Haare nach einer Seite gekämmt und unter einem dichten Netz verborgen. Auch zwei junge Männer waren da, außerdem ein älterer Mann, der sehr müde aussah und das Kinn in die Hände gestützt hatte. Sie saßen an rechteckigen, U-förmig aufgestellten Tischen und hatten aufgeschlagene Bücher und Bibeln vor sich liegen. Michael setzte sich neben den älteren Mann, der in der zweiten Reihe saß, nicht am Tisch, sondern auf einem Stuhl, an dem eine Art Holzbrett befestigt war. Auf dem Brett lag ein dünnes Buch. Michael las den Titel: Elemente der lyrischen Dichtung.
    Als Tuwja Schaj seinen Platz am Tisch des Dozenten eingenommen hatte, der in der Mitte stand, wurde der Mann neben Michael lebendig, öffnete das Buch und begann dann, in der Bibel zu blättern, die auf seinen Knien lag. Michael spähte in das offene Heft und las die Worte »Die Haare Simsons«, dann las er unter der Überschrift:
     
    Die Haare Simsons verstand ich noch nie:
    Die große Kraft, die in ihnen verborgen ist,
    das Geheimnis des Gottgeweihten,
    das Verbot, über sie zu sprechen,
    und fortwährende Angst vor dem Verlust der Locken,
    das Grauen zu jeder Stunde,
    wenn Delilas streichelnde Hand sie berührt.
     
    Hingegen verstehe ich gut die Haare von Absalom.
    Denn sie sind schön wie die Sonne am hellen Tag,
    wie der Mond der roten Rache,
    der Mond, der vor ihm verblaßt, ist süßer
    als die süßesten Düfte der Frauen,
    und Ahithophel der Kalte und Böses Sinnende,
    muß die Augen von ihm wenden
    in der Stunde, wo er vor sich
    den Anlaß für Davids Liebe sieht.
    Das ist das schönste Haar in allen Königreichen,
    die glänzende Rechtfertigung für jeden Aufstand und dann für den Tod.
     
    Tuwja Schaj schaute in die Runde, sagte: »Die Vorlesung hat begonnen« und las das Gedicht laut vor. Im Raum war es ganz still. Außer seiner Stimme war kein Ton zu hören. Michael betrachtete das Gesicht des vorlesenden Mannes. Ihm fiel auf, daß es Farbe bekommen hatte, und auch seine Stimme klang nicht mehr monoton. Er liebt das Gedicht, dachte Michael, und dann wurde ihm klar, daß er auch das Unterrichten liebte.
    Als er fertig war, wandte er sich an die Studenten, die dasaßen und ihn anschauten. Der sachliche Ton, mit dem er die Vorlesung begann, hinderte sie daran, spürte Michael, sich auf die Vorfälle der letzten Tage zu beziehen, und erlaubte ihnen, sich sofort auf den Unterrichtsstoff einzulassen.
    »Was ist es, was dieses Gedicht trägt? Was ist seine tiefere Struktur? Worauf stützt es sich?« fragte Tuwja Schaj. Eine Hand hob sich zögernd, und einer der jungen Männer, der mit der Brille, begann zu sprechen, noch bevor Schaj ihn dazu aufgefordert hatte. »Es gibt zwei Anspielungen auf biblische Geschichten, zwei Allusionen«, sagte er mit eifriger, lebhafter Stimme.
    »Richter 13 bis 16, und 2. Samuel 13 bis 19«, sagte ohne Zögern die junge Frau mit Haarnetz.
    Tuwja Schaj nickte und fragte gespannt: »Und was machen wir damit? Wir hatten schon Gedichte mit Allusionen, aber hier gibt es gleich zwei biblische Texte in einem Gedicht, wie kommen wir damit zurecht? Wir haben die Allusionen identifiziert, und was nun?«
    »Wir sollten uns mit den Auslegungen der Texte befassen, auf die sie sich beziehen«, sagte eine der beiden älteren Frauen, nachdem sie in den vor ihr liegenden Papieren herumgeblättert hatte.
    »Erinnern Sie mich doch bitte«, sagte Schaj, und für einen Moment bekam sein Gesicht wieder den leeren, leblosen Ausdruck, den Michael bereits kannte, »wer sich bereit erklärt hat, das vorzubereiten?« Er senkte den Kopf über seine Unterlagen, und Michael schaute auf seine Uhr. Erst zehn Minuten waren vergangen. Wieder warf er einen Blick auf das Gedicht. Es machte ihn neugierig, gefiel ihm sogar, doch er wußte

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