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Am Anfang war die Nacht Musik

Am Anfang war die Nacht Musik

Titel: Am Anfang war die Nacht Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alissa Walser
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er für sie gerettet. Sie konnte sich nicht mal bedanken. Weder für die Schokolade noch für die Erkenntnis, die er ihr damit verschafft hatte: Ihre Nase begann offenbar wieder zu funktionieren.
    Hier oben ist sie sicher. So weit steigt die Jungfer nicht hinauf. Was die nicht zählen kann, steigt sie nicht, dachte Maria. Der Nachteil: zu viele Stufen zwischen Maria und ihrem Klavier. Obwohl sie, nachdem sie die Treppe einmal gründlich auf und ab studiert hat, schnell unten ist. Und wieder oben. Fast hat sie am Klavier die Zeit vergessen. Mesmers Visite! Ist ihr nur wieder eingefallen, weil Kaline sie daran erinnerte. Gerade noch rechtzeitig. Also schnell die Treppe wieder hinauf, zwei Stufen auf einmal. Nach der Hälfte war sie außer Puste. Verschnaufte auf dem Absatz, wo die Treppe schmal wird. Die restlichen Stufen eng und steil. Als sie oben ankam, hörte sie von unten schon den Doktor heraufsteigen. Seineschweren, gleichmäßigen Schritte. Immer im Takt. Immer taktvoll. Keine Pause, kein Verschnaufen. Nichts hält ihn auf. Er geht, wie er atmet. Kraftvoll. Eine samtige Kraft. So stellt sie sich den Mond vor, von dem er so oft spricht. Den Mond und das Meer. Die unermesslichen Kräfte. Er ist ihnen auf die Schliche gekommen. Und er teilt sie mit ihr. Mit Maria.
    Mit Mesmer trottete der Hund herein. Allein wäre der nicht gekommen, dachte sie. Hechelnd stand er vor ihr, stupfte ihre Hände mit der feuchten Nase. Sofort versuchte sie ihn zu riechen und musste lachen. Gern hätte sie seine Nase angefasst, lange und ausgiebig, mit beiden Händen. Aber diese Hundenase hält nie still, und wenn sie noch so zärtlich hinfasst.
    Streichelhände, nein, vielen Dank. Da weicht die Hundeschnauze augenblicklich aus. Gefüllte Hände aber, die etwas verbergen, sind ihr unwiderstehlich. Und das Verborgene zu finden scheint der Sinn ihres Daseins.
    Maria hatte Kaline ein Gefäß mit Wasser heraufbringen lassen, das stets gefüllt zu sein habe. Auch das zieht den Hund an. Sie selbst roch am Wasser, so lange, bis ihre Nasenspitze Nässe spürte. Wie zart Gerüche sind, im Vergleich zu Licht. So zart, dass sie Wasser nicht finden würde. Der Hund schon. Im Dunkeln wie im Hellen.
    Mesmer sagte, er habe ihr etwas mitgebracht. Eine Überraschung. Und sie war zu ihm hingelaufen, mit nach vorn gestreckten Armen. Um das Etwas entgegenzunehmen. Da hatte er es weggezogen. Ihr vor der Nase weg, vor den Fingern. Und sie spürte diesen Stich. Dachte, das hätte er nicht tun müssen. Sie hätte wenigstens dran riechen wollen. Sie hätte heulen können. Er nahm ihr die Augenbinde ab. Sagte, Mut, Mut,als sie nicht wagte, die Augen zu öffnen. Hier oben sei keine Gefahr. Hier in der Kammer sei es dunkel. Zu dunkel, um weh zu tun. Also Augen auf. Denken Sie an die Kaiserin.
    Was denn die Kaiserin damit zu tun habe. Warum die Kaiserin für alles herhalten müsse. Für alles Heldenhafte.
    Was denn am Augenaufmachen heldenhaft sei, wollte er wissen. Zwar könne man bei Kepler lesen, dass die Lichtstrahlen den Lebensgeistern des Tierleibs entsprächen. Das dürfe sie aber nicht falsch verstehen. Licht sei doch kein wildes Tier, sagte er.
    So fühle sich’s aber an. Wie ein wildes Tier, das es auf ihre Augen abgesehen habe. Und fremd.
    Na dann, sagte er. Dann bin ich eben der Dompteur. Der höchstpersönliche Leib-Lichtbändiger. Dafür stehe er zu Diensten. Ihr allein. Er bringt sie zum Lachen mit solchen Sätzen. Wenn sie lacht, tut nichts weh.
    Sie öffnete die Augen, wartete auf Schmerz. Und wartete vergeblich. Merkte, auch der Doktor wartete auf etwas. Auch er vergeblich. Mit dem, worauf er wartete, konnte sie nicht dienen. Leider. Dafür ihm mitteilen, dass sie heute die heiße Schokolade gerochen habe.
    Sie hörte, wie er etwas aufschrieb. Sagte, Gerüche seien wie Vögel. Dachte, das sei ein großartiger Satz. Und er werde ihn nun auch aufschreiben.
    Aber er sagte, sie solle sich auf ihre Augen konzentrieren.
    Sie gab sich Mühe. Riss die Augen auf. Sie wartete und wartete und ließ ihn viel zu lange warten, dachte sie. Hörte den Hund trinken. Das Schlabbern klang so nass, dass ihr einfiel, der Hund sei ein Brunnen, aus dem es herausströme, gleichwürden die Wassermassen sie alle die Treppe hinabspülen. Sie musste lachen.
    Was denn so lustig sei?, sagte er.
    Nichts, sagte sie, drehte sich um zu ihm und sagte, ja, etwas sei anders als sonst. Sie fühle etwas durch ihre Augen einfließen, durch die Lichtröhre, sagte sie, wie ein sanft

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