Am Dienstag sah der Rabbi rot
–»
«Studenten!», knurrte Hendryx verächtlich. «Ja, glauben Sie denn, dass sich ein College um die Studenten kümmert? Die Hauptaufgabe eines College ist heutzutage, dafür zu sorgen, dass der Lehrkörper, eine Gesellschaft von als gelehrt betrachteten Männern, in angemessenem Wohlstand und Sicherheit leben kann. Es ist der Beitrag der Gesellschaft, solche ehrenwerten Vorhaben wie Forschung und Steigerung des Wissens zu unterstützen. Die Gesellschaft hat das unbehagliche Gefühl, dass jemand sich um solche Nichtigkeiten wie die Quelle von Shakespeares dramatischen Verwicklungen kümmern sollte, oder ob der Herr da über mir –» er machte eine Kopfbewegung in Richtung der Homer-Büste auf dem oberen Regalfach – «für die homerischen Epen zuständig ist, oder ob er nur einer aus einem Kollektiv war, oder um den Einfluss der flämischen Weber auf die mittelalterliche englische Wirtschaft, oder die Wirkung von Gammastrahlen auf Schraubenalgen.
Wir sitzen abgesondert im akademischen Elfenbeinturm und vertrödeln unser Leben, während der Rest der Welt sich der normalen Beschäftigung hingibt, Geld zu machen oder Kinder oder Krieg oder Krankheiten oder Umweltverschmutzung oder was er, in drei Teufels Namen, sonst eben treibt. Was die Studenten anbetrifft, die können uns, wenn sie wollen, über die Schulter blicken und etwas lernen. Oder sie können ihre Studiengebühren bezahlen, die uns zum Teil unterstützen, und sich hier vier Jahre lang gut amüsieren. Mir persönlich ist es völlig gleichgültig, was sie tun, solange sie mir mein bequemes Leben nicht verderben. Bitte schön.»
Er tat einen tiefen Zug aus der Pfeife und blies den Rauch zum Rabbi hinüber.
«Und Sie haben nicht das Gefühl, den Studenten etwas schuldig zu sein?», fragte dieser leise.
«Nichts und gar nichts. Sie sind einfach nur ein ins Spiel eingebautes Hindernis wie ein Sandbunker auf einem Golfplatz. Wenn man’s genau nimmt, tun wir ja was für sie. Nach vier Jahren bekommen sie den akademischen Grad, über den Sie neulich sprachen, und der sie befähigt, sich für bestimmte Stellungen zu bewerben. Oder sie können den nächsten Grad ansteuern, der sich in Geld umsetzen lässt, wenn sie Ärzte, Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer werden. Vom Blickpunkt derer aus, die sich das College nicht leisten können, ist das keine sehr faire Einrichtung, aber in dieser unvollkommenen Welt doch ganz normal. Himmel, ist es denn bei den innungsgebundenen Berufen anders, wo man erst eine sinnlose Lehre abschließen muss, ehe man aufgenommen wird?» Er schüttelte den Kopf, als beantworte er seine eigene Frage. «Ärger gibt es erst dann, wenn die Studenten, wie jetzt in den letzten Jahren, gleichziehen und aufrührerisch werden oder Demonstrationen inszenieren wie heute Ihre Klasse.»
«Aber wenn das College für die Lehrer existiert, und der Student nur seine Zeit absitzt, warum sollte man sich dann darum kümmern, was er tut?»
Hendryx lächelte. «Oh, ich kümmere mich nicht darum. Nur wenn die Gans geschlachtet wird, die die goldenen Eier legt. Aber das ist in den letzten Jahren geschehen. Der Student hat gemerkt, dass er an der Nase herumgeführt wird. Natürlich hat er schon immer gewusst, dass das, was er bekam, nicht das Geld wert war, das er dafür bezahlte. Ich habe mir einmal ausgerechnet, dass es ihn pro Vorlesung etwa zehn Dollar kostet. Meine Güte, das sind meine Vorlesungen wirklich nicht wert. Sind es Ihre? Wie schlau muss ein Student sein, sich das selber auszutüfteln? Aber er hat mitgespielt, weil er den Abschlussgrad braucht, um eine Stellung zu bekommen oder die weitere Ausbildung fortsetzen zu können. Aber dann haben sie ihn auch noch in den Krieg geschickt, und das wurde ihm ein bisschen viel: Der akademische Grad, den wir ihm gaben, erwies sich als Fahrkarte, manchmal nur als einfache Fahrkarte, nach Vietnam. Darum hat er rebelliert.»
«Er hat ihm aber auch eine Vierjahres-Rückstellung vom Krieg beschert», stellte der Rabbi fest.
«Ja, das hat er, aber das entspricht dem Leben. In den letzten zwei Jahren haben sich die Dinge allerdings sehr beruhigt, einerseits wegen der Änderung der Wehrgesetze, andererseits wegen der Truppenrückziehung aus Vietnam, und entsprechend friedlich sind die Studenten geworden. Aber sie haben sich an den Protest, ja sogar an die Gewalt gewöhnt, und das wollen wir nicht. Wissen Sie, dass es hier ein Bombenattentat gegeben hat?»
«Ja, davon habe ich natürlich gelesen, aber das
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